Shall then accompany a party of friends to Dresden, and perhaps to Vienna.
(Thomas De Quincey an J. A. Hessey, 12. Oktober 1823)
Shall then accompany a party of friends to Dresden, and perhaps to Vienna.
(Thomas De Quincey an J. A. Hessey, 12. Oktober 1823)
Mikropolitiken der Nacht, ironischer Apparat für Zitatmontagen, verwegenes Gewölk am strahlenden Blau des Himmels, eine letzte heitere Runde durchs Freudenhaus, all in am Spieltisch von Luxor, unermüdlich im Peneloop – jedoch nicht schlaf- und traumlos – weitergewebt. „I never have a concept, plan, goal, or direct message. Nevertheless, there are some immanent rules: 1. Do not try to solve the enigma of existence, 2. Do not modify it. The enigma is not a secret cipher device but the quintessence of the soul.” Ivan Stanev ist umgezogen.
Nachruf auf Ivan. In: Theater heute (3/2024)
Heute mussten wir loslassen, was von unserem Freund und Wegbegleiter blieb. Möge sein Andenken ein Segen sein und sprechen weiter zu uns, immerdar …
14. Dezember 2023
Liebe Jeanette! Liebe Tara! Ihr, die ihr klagt und trauert …
Ivan ist umgezogen. Ich möchte deshalb den Anfang eines Gedichts von ihm lesen, das Teil einer bislang unveröffentlichten Sammlung ist, der er den Titel „komoi“ gegeben hätte. Der kómos ist ekstatischer Umzug der frühen Antike, Gesang tonaler und trunkener Begeisterung, der hier seinen Ausdruck im lyrischen Gedicht gewinnt. Älter als die Dionysien sind die komoi, älter als das Drama, als das Theater selbst.
Im Grunde war Ivans Werk immer dies: Umzüge, die in die Aufzüge des Schauspiels einzogen, die die Strophen und Gegenstrophen, ja die Katastrophen der Schrift, durchzogen, auf der Filmleinwand ihre Runden drehten, den Verhängnissen der Masken und Figurationen in Unzeit folgten. Gespannte und zugleich zerbrechliche Verdichtungen, Pfeile aus Blei in die Herzen der Mythen und die Schächte der Geschichte.
Sie haben die Bleibe (sei es das Freudenhaus oder das Gelage, die Erde oder den Himmel) hinter sich gelassen, verzweifeln und verlieren sich im Taumel einer Weglosigkeit; entwegt ziehen sie fort von, entziehen sich, verwegen sogar, unverfroren zuweilen, Grund oder Heimstatt. Stattdessen zeigen und weisen sie – Zug um Zug, Silbe für Silbe – wovon sie ausgegangen waren.
Pegasos, den Bellerophontes zähmte, lebte unter den Musen, nachdem er dem Hals der erschlagenen Gorgo entsprungen war. Bellerophontes, der Exilant, Enkel des Sisyphos, selbst göttlichen Geblüts, ward von ihm abgeworfen (kata-, hinunter, hinein, gegen den Strich des Laufs), auf und in die Ebene Aleion in Kleinasien, wo er später wanderte an den Ufern schwarzer Meeresstrände und in den Zerklüftungen des Gebirgs.
Von dorther klingt, weithin nach und um und um, anfangslos sein wilder Sang.
Ivan Stanev
Bellerophontes
(komos)
CHORO CHOROS
KATACHTHONIOS
Es lebe der Tod!
REIGE REIGE RE
Sein Perfekt ist auferstanden!
TANZE TANZE TE
Des Todes perfektes Perfekt
auf versteinerter Flucht.
FLÜCHTE FLÜCHTE STE
Wie gewesen wir waren.
WAREN WAHR
Wie der Lindwurm der vergangenen Zeit
SOS GASSOS PEGASOS
Ein Wurm aus künstlichem Leder,
ferngesteuert von untergegangener
göttlicher Hand.
CHANDA CHA
Eine wortkarge Wortbildung,
die unsere Zukunft aufgefressen.
SENE SE
Der Lindwurm, er frißt
seine Kinder.
FRIST GEFRISSTE STE
SCHÖPF ERSCHÖPFISTE
Der Lindwurm,
er frißt wie die Sanduhr
das Sandkorn des Planeten.
Der Lindwurm,
TURMISTE TURM
er frißt den Lindwurm
der Zeit.
ZUR ZUZI ZWAR
WAR ZUZI DAR
Unter himmlischer Haut
HAUTDÜNN HAUTDÜNN
wo die Sonne der Eiterherd
FEUERGRÜN FEUERGRÜN
PHALLOS REX LAVA EJAKULIERT
VAGINA MATER MAGMA MENSTRUIERT
ANUS DEI BIMSSTEIN FÄKALISIERT
BELLEROPHONTES AUF DEM FLÜGELROSS
ROSS PEGASOS
REBELLIERT NOCH VERLIERT
SONNE NE
VERLIERT NOCH REGENERIERT
ERDE DE
Wir waren vergangen,
wir wurden geworden.
Wie gekaut die Zeit
unsere Jahre
JACHRE CHE JA
mit gewesenem, falschem
Gebiß BISI BISS.
Wir wie du BELL BELLE
RO RO PHONTES
Mann mein, Sohn mein,
Eltern der Eltern,
Ahnen der Vorfahren
waren wie Erdsaft
in UNSER UNS,
Pflanzen in Pflanzen
verpflanzt.
Wie ich geküßt
USSTA USST
mit Worten dein junges,
altes Gesicht
mit dem uralten Anteil
an meinem Verlust,
Vater mein, Tochter
wie Mutter, Gelübde.
LÜBDE LÜBDE LE
Du, weiblich, mit
meiner rechten,
männlichen Hälfte
HÄLFTE CHE
ich, männlich, mit
deiner rechten,
weiblichen Hälfte
RECHTE RE
du, die Mutter
im Vater,
senkrecht geteilt
von der Hälfte
der Tochter,
ich, die Gelübde
der Tochter,
ergänzt ab der Achse
vom Körper der Mutter
SAFT IN SAFT
FREUND IN SCHAFT
Ach, wie waren wir
wurden geworden
WORDENDE GEWORD
WÄHRENDE GEMORD
Choro Choros,
Bellerophontele,
Choro Choros,
ROSS PEGASOS,
Choro Choros,
Stheneboia,
und ein Lindwurm
dazwischen ZWISCHT
im Spagat über der
Fuge der Zeit.
CHI CHI CHOROS
WAIRA CHIMAIRA
wie fliegen wir flogen
FLOGIFLOG
GÖLOFOG
und im Fluge SOG,
wie ich küsse geküßt
dich wie du mich
MICHMIDICH
wie SUCHTI sucht
nie gesehene
Sehnsucht,
Verjährung verliebt in
Versöhnung, verlobt mit
Verwesung, WES GE,
und geschah das Geschehen.
Wie im Grab wir
das geronnene Wasser
aus zerbrochenem Glas
sammeln in
Kreislaufschalen
und trinken getrunken
GURLJUGU
GULGULDU
Ich will dich
gesehen wie früher
so schön, meine Liebe,
LIEBER MEIN
daß ich totfiel
voll leidenschaftlichem Absturz
Eine Fledermaus wie du,
schwanger mit mir,
dem fliegenden Maulwurf,
so vorsah das Versehen
und den Lindwurm gebar
der verschollenen Jahre
CHIMAIRA RA
ARCHIWAIRA RA
MENSCH GEBOREN WURDE
IN DEN TOD HINEIN
IN DEN TOD HINEIN
OHNE TOT ZU SEIN
LIEBER MEIN LIEBER MEIN
NICHT GEBOREN
NICHTS VERLOREN
MENSCHLEIN MENSCHELE
MENSCHEL STERBELE
Wie alles wir waren,
wie alles wir wollten,
wollten noch strebten
AN wann wie dann
nicht mehr da waren,
nichts waren noch wollten,
DA DA NA
NA DA NA
Bellerophontele
auf dem Flügelross,
aus Gold sein Rumpf,
jeder Fittich
ein Seidenstrumpf,
sein Kopf aus Elfenbein,
sein Herz aus Edelstein,
sein Huf wie Turm aus Horn,
sein Auge wie Blitz aus Hohn,
AI AI AI
GÖTTERSTÜRMEREI
wie schrecklich schön,
REIGE RAI
wie tödlich frei,
KEIN GOTT MEHR DA
IM HIMMEL NA
CHACHA CHACHA
EIN WURM
WIE DU
IM STURM
ANFLUG AUF DEN
UNTERGANG, Bell Bellerophon,
Sonnenkern aus Ohrenschmalz,
Erdreich Knolle aus Dasein,
Dasein, das gewesen,
Wurzelhaare des Verwesens.
Scheitert jede Laufbahn
HIN DAHIN
am Ziel vor dem Beginn,
Bell Bellerophon,
wo das Ziel
vor dem Beginn?
[…]
In einer Welt, die reale Vermögens- und Materialwerte in Finanzinstrumente „verpackt“, vermittelt oder jene durch diese strategisch ersetzt, ist es keineswegs so, dass die Vermögen und Stoffe dieselben bleiben, die sie immer schon waren.
Diaphanes nr. 11 – spring/summer 2023 on Matrices porteuses – Surrogacies out now! Get your copy here: Diaphanes Mag. 11 // Surrogacies
Aus der Leere tritt der Erlöser wieder ein in die Welt. Die Welt ist das Hinterzimmer einer Bar, in der The Man das Sagen hat. Ein Crumpy White Male, den nur seine besten Freunde Ari Man nennen. Wie ein Gespenst, oder besser wie eine villain in the night, steht Erlöser plötzlich mitten im Raum und entlädt das Magazin einer CZ 75 9mm Luger (also sechzehn Projektile) in den Wanst dieses Früchtens dieser Welt. Ligit! The Man röchelt, hat aber noch die Kraft, sich den kurzen Monolog des Erlösers anzuhören.
(aus: Die alten Filme; KW Berlin. Friendly Fire & Forget)
Für ERDEN, substantivisch und plural verstanden, gilt es also den imaginativen Raum denkbar weit aufzuspannen, um im besten Falle wahnwitzige Deterritorialisierungen zu provozieren und gleichzeitig dem Terrestrischen verpflichtet zu bleiben. Mit diesem „double-bind“ wollen wir auch der Schreberschen (Zwangs-)Vorstellung „Anbinden an Erden“ Rechnung tragen, die als ursprüngliches Leitmotiv figurierte.
ERDEN enthält Beiträge von Heather Davis, Kai van Eikels, Karin Harrasser, Donna Haraway, Maren Mayer-Schwieger, Johannes Neurath, Hermann Rauchenschwandtner, Salome Rodeck, Oxana Timofeeva, Elisabeth von Samsonow, Oxana Timofeeva, Thomas Turnbull, Daniel Tyradellis, Maria Zinfert und einer künstlerischen Bildstrecke von Jenny Michel.
Livestream: https://youtu.be/q5GhBPnsg9I
https://sonderzahl.at/event/erden-naturphilosophische-brocken-im-depot/
Out now: Ruin von Thomas De Quincey (Friedenauer Presse, Berlin 2022), herausgegeben, übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Andreas L. Hofbauer.
Get your copy at Matthes & Seitz Berlin!
Es ist ein Kreuz mit den Wortankern. Mit ihren Bestandteilen. Roring, Stock, Schaft, Kreuz, Arme, Flunken … allein beim einfachen Stockanker. Anchors hex. Get your copy here: https://zeitschrift-fuer.de/ oder im ausgewählten Buchhandel.
Dim vales – and shadowy floods –
And cloudy-looking woods,
Whose forms we can’t discover
For the tears that drip all over
Huge moons there wax and wane –
Again – again – again …
(E. A. Poe)
Film stills by Katharina Copony
New website : http://www.andreashofbauer.eu/de/
Die Erschöpfung und das Aufhören, das Enden, verschreibt sich einer Insistenz, die sich weder auf eine Transzendenz stimmt, noch den schmerzhaften Aufbruch verleugnet. Sie geht, zuweilen starr, ohne sich im geringsten zu rühren, weg. Solch aufbrechendes Gehen bricht auch zum verlorengegangenen Kind auf … Merkwürdig mutet so der Brief an, den Herman Melville seiner Tochter Bessie vom Pazifischen Ozean aus am 2. September 1860 zukommen lässt. “Diese Vögel haben kein Zuhause, außer einigen wüsten Felsen mitten im Ozean. Sie sehen niemals einen Obstgarten, und kennen den Geschmack von Äpfeln und Kirschen nicht, wie dein kleiner Freund in Pittsfield, Herr Robin Rotkehlchen … Ich hoffe, dass du gut auf Klein Fanny aufpaßt, und daß du, wenn du den Hügel hinaufgehst, so gehst, [hier folgt eine kleine Zeichnung Melvilles, die einen Baum und etwas Gesträuch zeigt, sowie zwei beinah winzige Gestalten, die sich an der Hand halten] Leb wohl – Papa.” So, als ob es doch möglich sei, die Faust in die flache Hand zu entfalten, wie Johann Georg Hamann dies gefordert hat, und sich die Hände zu reichen. So, als ob es vielleicht den Aufbruch des Vergessens nach nichts mehr verlangte, als eben nach dieser einfachen, singulären und einfältigen Handreichung, das Wagnis dieser unwahrscheinlichen Berührung, die weder führen noch hüten will.
ALH, “… thus snapping the chain – ” in: Gerburg Treusch-Dieter (Hg.), Schuld, Tübingen 1999