Bitte bei Totleben klingeln!

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Die griechische Antike nannte die Ventriloquisten engastrimanteis, solche also, die ihre Reden aus dem Magen (gaster) oder gar tieferen Regionen ihrer Leiber erklingen ließen. Totleben wirft seine Reden. An Wände, in Schauspielerinnen hinein, in Witwen hinein, als Schweigen auf die Körper schöner Frauen, als Flaschenpost ins Schleppnetz. Er wird uns alle überlebt haben.

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All pics by Wonderloch Kellerland.

The sound of a door opening

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An den Fenstern der Loge sind Blenden angebracht, die bis zur Augenhöhe der Häftlinge reichen, sodass diese, was immer sie unternehmen, nicht über sie hinwegblicken können.

Um das Durchscheinen des Lichts zu verhindern, durch das die Gefangenen trotz der Blenden erkennen könnten, ob sich jemand in der Loge aufhält oder nicht, wird dieser Raum mithilfe von Trennwänden in der Form zweier rechtwinkelig aufeinander stoßendern Kreisdurchmesser im Viertel aufgeteilt. … Die Türen dieser Trennwände könnten das Durchscheinen des Lichts ermöglichen, wenn sie offen gelassen werden. Um dies zu verhindern, kann nach Wunsch jede Trennwand geteilt werden, wobei die eine Hälfte derart neben die andere gestellt wird, dass eine Öffnung von der Breite einer Türe freibleibt.
(Jeremy Bentham)


Das Grimmsche Wörterbuch erklärt den Begriff hermetisch als Wortschöpfung, die sich auf Hermes Trismegistos bezieht und die angeblich von ihm erfundene Methode, Glasröhren luftdicht zu verschließen. Doch endigt der Eintrag eben dort mit einem Dichterwort von Gottfried August Bürger, dem Autor des Münchhausen, und zitiert diesen:

es ist geist, so rasch beflügelt,
wie der spezereien geist,
der, hermetisch auch versiegelt,
sich aus seinem kerker reist.

Dass wir es nun mit Kerker und Zelle sowie hermetischen Raum mit antithetischen Begriffen zu tun bekommen liegt auf der Hand. Warum man diese aber hier zusammenbringt, ohne sie dialektisch aufheben oder versöhnen zu wollen, mag dem einen oder anderen merkwürdig erscheinen.
Solches verdankt sich aber schon wiederum zweierlei: Einerseits dem Einfluss einer gewissen psychoanalytischen Herangehensweise, vornehmlich geprägt durch die Londoner Schule. „One must cast a beam of intense darkness so that something which has hitherto been obscured by the glare of the illumination can glitter all the more in that darkness.“ Und anderseits ist es eben eine vornehme Aufgabe, sich und sein Pferd am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen oder davon zu berichten, wie der Wolf das Pferd von hinten angreift, auffrisst und dann – in dessen Geschirr steckend – die Aufgabe des Pferdes übernimmt und uns nach St. Petersburg bringt.
(Andreas L. Hofbauer)

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Lecture given by Christian Welzbacher and Andreas L. Hofbauer 2013 for Wonderloch Kellerland in course of an exhibition called THE HERMETIC SPACE I. (All photographs by Wonderloch Kellerland; shown art pieces on this page by Markus Selg, René Luckhardt and Dieter Roth).


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No Resurrection without Psychoplastic Reshape


Painting by Aleister Crowley, located in a door jamb, Abbey of Thelema, possibly depiction of Baphomet

Zum Replikat von Aleister Crowleys Chambre des Cauchemars

Ein Ritual- oder Initiationsraum dient der Kraftübertragung. Die Vehikel solcher Transmissionen können unterschiedlicher Verfassung sein. Zweifellos kommt dabei Körpern und Bildern (Visualisierungen) ein besonderer Stellenwert zu. (Damit ist nicht gesagt, dass Bilder keine Körper sind.) Hier haben wir es mit Bildern zu tun, die direkt an Wänden angebracht wurden und den gesamten Raum in einen Bild-Raum verwandeln. Derlei Bilder dienen nicht dem interesselosen Wohlgefallen der Betrachtung, sondern sind Affekt-Zeichen.

Gemäß der nietzscheschen Überlegung, dass Wirkungen den Ursachen vorangehen, scheint es meiner Einschätzung nach nicht von vorrangigem Interesse, nach dem Warum und Wie dieser Einweihungen zu fragen. Wir dürfen uns fürs Erste damit begnügen festzustellen, dass es gewisse Riten gab, die vor dem Eintritt in das Chambre und während des Aufenthalts in selbigem zur Anwendung kamen. Von der Benutzung von Drogen und der Durchführung sexual-magischer Praktiken ist auszugehen. Desgleichen wurde der Raum für profane Zwecke genutzt (und diente Aleister Crowley schlicht als Schlafzimmer), wobei nicht nur diesem Fall die Trennlinie zwischen profan und theurgisch ohnehin eine unscharfe ist.

Entscheidend bei all dem ist, dass während der rituellen oder initiatorischen Vorgänge die Bilder selbst lebendig werden sollten („become alive“) und vom Geist des Initianden / Magiers Besitz ergreifen („obsess their spirit“). Das Problem solcher Besessenheit ist nun ein Zweifaches. Zum einen übermannt ein derartiger Vorgang den Willen (griech: thelema), zum anderen erlaubt auch die Intensivierung und Transformation dessen, was man sich gemeinhin unter eben einem solchen Willen – einem, dem (selbst)bewussten Ego unterworfenen Akt – vorzustellen pflegt. Wille ist hier nicht länger actus, sondern Prozess (ein Werden / becoming). Die Evokation von göttlichen, dämonischen, astralen oder sonstigen Entitäten oder Vorstellungskomplexen durch Bilder ist Transformation des in sich verschlossenen Egos. Der Ritualraum ist ein symbolischer Energiecontainer, der es dem Fleischcontainer ermöglicht sich zu öffnen. Bilder werden inkarniert (dringen ein) und entrücken den Körper in andere Bewusstseinszustände, die von mehr oder weniger dauerhafter Natur sind (nachdem der Ritualraum verlassen wird). Es findet somit ein psycho-pikto-plastisches Reshape statt. In David Cronebergs Film Videodrome merkt Prof. O’Blivion (Medienanalytiker und Psychoplast) an, dass er zuerst angenommen hätte, seine Visionen seien auf den Tumor in seinem Gehirn zurückzuführen; bis ihm klar wurde, dass im Gegenteil die Visionen seinen Tumor hervorgebracht hätten. Die Bilder generierten New Flesh. Verändert nun auch der Magier nicht die Welt um sich herum, sondern transformiert sich selbst (damit „seine“ Welt und das nicht bloß „kognitiv“), dann verleibt er sich die lebendigen Ritualbilder des workings (ergon) ein. Aus diesem Grunde könnte man die Wandmalereien durchaus, wenn auch ein wenig oberflächlich, als Sigillen bezeichnen. Diese leben dann in ihm als Reste weiter, über-leben, bilden Aspekte eines neuen Selbst-im-Werden. Es entsteht eine Art multiple Persönlichkeit, oder besser noch ein Komposit-Selbst, das diese verschiedenen Facetten nach und nach „bewusst“ einsetzen kann. Viktor Neuenburg, der Adept Crowleys und Informant Sigmund Freuds (gemeinsam mit Eckenstein gab er letzterem den Hinweis auf das „ozeanische Gefühl“, von dem Freud Zeit seines Lebens bestritt, es jemals erfahren zu haben), hat darauf hingewiesen, dass solcherlei Vorgänge mit der Traumerfahrung in Beziehung zu setzen sind. Tagreste dringen in Form von Symbolen in die Bildwelt des Traumes und Nachtreste der Symbol-Bilder werden (bewusst oder unbewusst) zurück in den Wachzustand  übertragen.

Sonach ist der Transmissions-Raum eben auch (T)Raum.

Die Transmission ist eine virtuelle (von virtus = Macht). Wird sie ritualisiert, wird sie dem Willen (wessen auch immer) unterworfen um kontrolliert werden zu können. Macht verlangt nach Form; In-formation. Bediente sich Crowley auch freimütig bei den Ideen und dem Info-Material anderer, so liegt hierin doch ein zentrales Moment nicht allein der individuellen Vervollkommnung, sondern auch eine Utopie des Gesellschaftlichen und Politischen. Rabelais kennt nur das TU WAS DU WILLST, das als Motto seine Abtei von Thélème schmückte. Diesen Satz hat Crowley entscheidend erweitert – indem er unscheinbar ein anderes Motto transformierte, das bereits Jahrzehnte vorher ausgesprochen wurde. (Und zwar von Paschal B. Randolph für die Brotherhood of Eulis.) Dieses ursprüngliche Gesetz von Randolph lautet:

Will reigns omnipotent;
Love lieth at the foundation.

Inkarnation unter dem Gesetz der Liebe (Sexualmagie), Freisetzung aller Potenzen des Willens (der nicht länger an ein Ego gebunden ist), keine Abkehr hin zu Nirvana oder Nichts, sondern konkrete Diesseitigkeit und Materialität als spirituelles Band neuer Gemeinschaft.

Die Reste der Wandbilder aus dem Chambre des Couchemars, die Zerstörung und Verfall gerade noch überstanden haben, sind Ruinen und Fragmente eines ähnlichen Versuchs. Ein unkontrolliertes Palimpsest ist entstanden (Übermalungen, Graffitti etc.) und die lichtbildliche Herausnahme der noch (un)versehrten Stellen – nennen wir es getrost Archäofotografie – macht nun den Raum selbst wieder transportabel. Das Replikat des Raumes bewerkstelligt die Filiation von Räumen und Kräften. Wenn die Geheimnisse an den Wänden die Kraft zu senden zurückgewinnen, die Kraft zu über-tragen, dann werden sie auch zu denken geben. Sie werden die Frage aufwerfen, was das eigentlich für eine Temporäre Autonome Zone (Hakim Bey) war. Gibt es am Replikat noch Aurareste? Und selbst wenn dem nicht so sein sollte: Genügt nicht allein schon die profane Epiphanie dieser Fragmente, um uns Staunen zu machen?

Wie auch immer. Die Abtei Thélème, die Gargantua dem Mönch stiftet (François Rabelais, Gargantua, Kap. 52), hatte gar keine Mauern. Gewiss ist auch, dass es keine Trompeten von Jericho bislang zustande brachten, die Thelema Abbey vollständig zu vernichten. Die Bilder an den Wänden und Mauern haben sich nun selbst aufgemacht, angefangen sich wieder zu bewegen. Sie haben zu wandern begonnen. Wohin ist nicht klar; doch senden sie weiter. Die Signale sind von vielfältigem Rauschen gestört; es gilt, das richtige Frequenzband zu finden.

Tom McCarthy hat eindrücklich darauf hingewiesen: In Jean Cocteaus Film Orphée schaltet der Titelheld wild zwischen den Sendefrequenzen hin und her. „BIEP-BIEP-BIEP … Achtung: Der Vogel singt mit seinen Fingern … Einmal … Ich wiederhole … 2,294 … Zweimal … BIEP-BIEP“, tönt es aus seinem Autoradio, dem einzigen Ort, der sich selbst an beinahe jeden anderen Ort bringen kann und wo man die „Anweisungen von Drüben“ empfangen kann. Als man ihn fragt, warum er dem zuhöre, antwortet er: „Ich bin dem Unbekannten auf der Spur.“

Andreas Leopold Hofbauer, September 2010, on the occassion of “La Chambre des Cauchemars d’Aleister Crowley” (réalisé par René Luckhardt), 4 – 13 July 2010, Wonderloch Kellerland Berlin

Replica Chambre des Cauchemars, Wonderloch Kellerland 2010

René Luckhardt, Abbey of Thelema, Cefalu, Sicily

Das Replikat des Chambre des Cauchemars der Abtei von Thelema in Cefalù von René Luckhardt zeigt die Überreste von Aleister Crowleys Wandmalereien von 1920, die ursprünglich die komplette Wandfläche eingenommen haben müssen. Die Abtei befindet sich heute in einem desolaten Zustand; ebenso die Wandmalereien, von denen nur noch wenige Fragmente erhalten sind. Diese Reste bleiben auf das Chambre des Cauchemars beschränkt, Crowleys Initiations- und Schlafzimmer.

Von den nachfolgenden Besitzern des Gebäudes übermalt bzw. zutapeziert, wurde die darunter liegende Malerei von späteren Besuchern stellenweise freigelegt. Eine sachgerechte Restaurierung ist jedoch nie erfolgt. Die Wände sind heute mit Kritzeleien und Graffiti beschmiert, die verbliebenen Reste durch Witterung stark beschädigt. Eine Rekonstruktion des Originalzustandes bzw. eine Restauration wäre heute vermutlich aussichtslos.

Das Replikat präsentiert die Fragmente, die als Malereien Crowleys zu erkennen sind bzw. ihm zugeordnet werden können. Räumliche Anordnung und Größe der Fotoabzüge entsprechen in etwa dem Original.

Die Abbildung ganz oben zeigt eine doppelköpfige, zwei-geschlechtliche schwarze Figur, die eine Darstellung Baphomets sein könnte. Sie befindet sich in einer Türlaibung und musste innerhalb eines Abstandes von ca. 80 cm gemalt werden. Stufenweise von oben nach unten abfotografiert, wurden die Einzelteile digital nachbearbeitet und aneinander gefügt. Aleister Crowleys Wandgemälde kann auf diese Weise aus der Distanz als Ganzes betrachtet werden.

Replica Chambre des Cauchemars, Galerie Seiler, München 2010

Paradise revisited

Der 1889 in Kattowitz geborene, berüchtigte und einflussreiche Erich Przywara S.J. hat kat-holos bündig mit Wendung aufs Ganze übertragen. Er steigert damit den letalen Grundgedanken der kreuzweisen Orientierung in Raum und Zeit zum Äußersten. Die kenosis als Entleerung in Finsternis und Knechtschaft, von der Paulus im Brief an die Philipper spricht, errichtet das letzte Mahnmal unbedingten Ressentiments. Eine dunkle Nacht, die sich elektrisch in den Synapsen des Juan de la Cruz entlädt.

Doch wenn Eva ihren Kopf mitsamt den Lippen (und den Augen) in der Sixtinischen Kapelle verdreht, dann ist gerade mit dieser Drehung die Gegenstrophe angeschlagen. Schubumkehr. Und das ist nicht einmal mehr Verzückung in der gegenstrebigen Fügung, sondern ekstatischer Halt in einer unmöglichen Zone zwischen Gleißen und Auslöschung. Die Bilder einer solchen Aphanisis evozieren nur auf den ersten Blick jene Bilder, die in uns kreisen, wenn wir an die Gemächer der Villa dei misteri bei Pompeij oder den Parc-aux-cerfs in Versailles denken. Vielmehr sind sie Dreh- und Kippelemente eines Experiments.

Betrachtet man einen Rotor von oben oder von der Seite, dann sieht man ein X. Wir könnten auch sagen, ein „echtes, rechtes X, das heisst den vorletzten Buchstaben vor dem letzten …“. Doch vielleicht markiert dieses X auch den Punkt, der bleibt, wenn auch das Letzte vergessen ist. Rotor ist ein Palindrom. Auch eine Antwort auf die Katastrophe des Kreuzes. Was hier über-lebt haben wird, erwartet die stets wiederkehrende Morgendämmerung; etwas kühl und metallisch – gewiss, doch wer hat uns versprochen, dass es im Paradies kuschelig und warm ist?

Andreas Leopold Hofbauer for René Luckhardt Aphanysium, Galerie Bernd Kugler, Innsbruck (21. Januar bis 26. Februar 2011).