Miau!
Marlene Dietrich
Spion X 27, Komponistin und Kryptographin,
in Josef von Sternbergs Dishonored
Mach’ es so, dass man es ganz einfach verstehen kann
… die Fragestellungen irgendwie zusammenfassen und den Lesern dabei Raum zum Denken lassen. Lageanalyse. Überblick schaffen. Wie ist das mit der Zeit? Bruch und Kontinuum. Gedächtnis und Vergessen. DIY-Geschichte und digital tools. Ist das hier Ausweitung des Belagerungszustands oder Verlängerung eines New Golden Age ins Unendliche? Ist überhaupt noch etwas da oder kann gar nichts mehr verschwinden? Du hast 15.000 Zeichen. Vier Seiten Magazinformat eben, extended.
Nun ja – ich mag meine Herausgeber. Ich mag auch die antiken Sophisten. Immer schon. Vor allem Gorgias. Deshalb konnte die Antwort doch wohl nur lauten: Ein Kinderspiel (paígnion)!
Auf den Vorlass ist Verlass
Unternimmt man den Versuch zu begreifen, was heute geschieht, hat man das gestern und morgen offenbar schon geschluckt. Ob man will oder nicht. Diplomatisch (also doppelgesichtig) vermittelt sich hier das aus der geschichtlichen Erfahrung Gewonnene und entwirft sich (eine) Zukunft, die man dann in Angriff nimmt. Hat nun zweifellos das Umsichgreifen digitaler Medien ein ungeahntes Überhandnehmen des außenproduzierenden Gedächtnisses und seiner Speicher einerseits befördert, so gilt andererseits weiterhin: Keine Revolution ohne Gedächtnis. Dort, wo andere gescheitert sind, unbemerkt für ihre Zeit geblieben oder man versucht hat, sie in die Vergessenheit abzudrängen, sollte neu angeknüpft werden. Die Enkel fechtens besser aus … hieß die Losung der Hoffnung seit den Bauernkriegen des 16. Jahrhunderts. Was im Augenblick aussichtslos oder als Niederlage erscheint, mag irgendwann Brückenkopf für den Aufbruch zu neuen Ufern werden. Doch heute? Unter den Prämissen eines globalen Kapitalismus und in der digital vernetzten Sphäre macht sich mancherorts eine gewisse Resignation des Nichts geht mehr und Nichts wird mehr gehen breit. Retromania, rasender Stillstand, eintöniges Immer-weiter. Just das Weitermachen, die Kontinuität, schafft die Zerstörung, meinte schon Brecht. (1) Die Keller können gar nicht so schnell ausgeräumt sein, wie die Anthologien sich schon gleich Wolkenkratzern auftürmen. An den Wolken wird dabei gar nicht mehr gekratzt, sondern diese selbst werden vollgeramscht. Das Blau des Himmels – gnadenlos verstellt. Permanentes refreshing und updating bereitet scheinbar jeden Status und jedes verzeichnete Datum instantan auf. Eine gedächtnisschwangere Gegenwart greift ebenso in die Vergangenheit ein, wie in die Zukunft aus. Zwar erzeugen sich endlos evolutionäre Varianten, die Revolution bleibt aber aus, der Umschlag kommt nicht. Selbst der Spielraum derjenigen, die die Geste des to come des Zeitlichen jedweder diesseitiger Ankunftshoffnung entgegenhielten und als entscheidenden Modus des Offenhaltens begriffen, wird immer enger.
Die Ernüchterung resultiert dabei nicht zuletzt daraus, dass die noch vor ein paar Jahrzehnten gefeierte Vorstellung von Immanenz, Kontingenz, Arbitrarität und Verweisstruktur, endloser Verkettung usw. dermaßen überdeutlich geworden und uns auf den Leib gerückt ist, dass sie in Angst umschlägt. Assoziationswahn führt zur tödlichen Isolation. Konsensrealität hat Frühvergreisung zur Folge.
Verlässlich arbeitet jeder an seinem Vorlass, schreibt sich zwischen Konsumverhalten, Blog, soundcloud- und youtube-Beitrag und politischer Kurznachricht in die Geschäftsbücher, Folianten und Anwesenheitslisten unserer Jetzt-Zeit ein. Nachlass zu Lebzeiten hieß das bei Robert Musil. Jeder Autor, alle aktiv, jeder basisdemokratisch, jeder dabei. Selbst die ganz reell ausgetragenen gewalttätigen Kämpfe um Anerkennung oder Regimewechsel, auch Bürgerkriege und Kriege gegen den Terror, dokumentieren sich selbst auf unzähligen Kanälen. Präsidenten geben ihre Anweisungen per SMS, beobachten in Echtzeit, wie sie scheinbar Geschichte schreiben und geben ihre Meinung dazu auf den üblichen Kanälen kund. Dass es dabei auch zu doppelter Buchführung kommt, ist diskrete Aufgabe der Nachrichtendienste.
Bedürfnis
Und was soll uns ein solcher Umschlag und seine Revolution angehen, mein Bester? Wen sollte kümmern, ob es sich ereignet, im Kommen bleibt oder ohnehin nie möglich oder wirksam war? Und überhaupt … was für ein Pool gerade für die Kreativ-Klasse und die Künstler, die ohnehin seit aller Ewigkeit zitieren und kopieren und dabei tunlichst darauf achten, ihre Spuren zu verwischen. Beckmessereien, weiter nichts. Und dann auch noch die Zeit! Der Psychoanalytiker wird Ihnen etwas von logischer Zeit erzählen, Religionswissenschaftler die Frist beschwören, Quantenphysiker bemerkenswerte Experimente vorstellig machen und die ermüdeten Philosophiehistoriker auf Augustinus verweisen, seit dessen Zeiten und Fragestellung sich eben nicht viel geändert hätte.
Mögen Wissenschaftler und Techniker, die verwöhnten Müßiggänger im Garten des Wissens, die Politberater und Netzeuphoriker und die gelassenen Archivare auch auf unsere derben und anmutslosen Bedürfnisse herabblicken, wie schon Nietzsche sagt – was soll’s!? War schon das Gewicht der Historie etwas, das nur die Starken ertragen konnten, so verlangt das vermeintlich immaterielle permanente Jetzt einer Posthistoire ganz besondere Gewichtheber.
Mehr oder weniger fröhliche Möglichkeiten, der Misere zu entgehen
Man wird wie Saulus vom Blitz getroffen, wird ein ganz anderer und ändert sein Leben (ohne allerdings dabei neue Formen des Änderns selbst einzuführen). Man kann dann zum Beispiel orthodoxer Kommunist werden und eiserne Härte und eifernde Erwartung zu Schau stellen. Nennen wir es den Badiou-Ausweg.
Man wird von einem obskuren Gegenstand, der vom Himmel fällt, auf den Kopf getroffen und versucht dann durch endlose re-enactments das Authentische wiederzufinden. (2) Solche Vorhaben lassen sich sogar gewerbsmäßig und professionell coachen, allerdings sollte man dann darauf achten, sich nicht all zu sehr mit seinem Auftraggeber zu identifizieren. Nennen wir die Sache daher den Nazrul-Ram-Vyas-Ausweg.
Man wird das Opfer von Alzheimer oder einer gewaltigen Kopfverletzung oder zimmert sich aus derlei Fallstudien eine psychologische Ontologie des zerebralen Unbewussten. Der Malabou-Ausweg.
Man wird Juniorprofessor für Archivwissenschaften im Exzellenzcluster. Ein akademischer Ausweg.
Man trifft durch die Vermittlung obskurer Geo- und Geheimwissenschaftler Cthulhu und Pazuzu (resp. ihre Schatten oder Leichen) in den Ruinen einer syrischen Stadt, imaginiert – selbstverständlich ohne jedes erotisches Engagement – unheilige Geschlechtshandlungen mit ihnen und gebiert sich anschließend als Spekulativer Realist selbst. Auch das neuerdings zunehmend ein akademischer Ausweg. Vielleicht sogar ein theologischer.
Objekte und a little bit of history repeatin’ (or maybe not)
Das Neue scheint demnach immer nach einem Bruch anzuheben (mindestens seitdem Gott selbst auf dem Berg Sinai ’anochi sprach), verwandelt sich in ein Kontinuum und wird dann durch den nächsten Bruch durch ein nächstes Neues abgelöst. Zuweilen werden hernach auch Bruchvorläufer ausgemacht und konstatiert, dass Brüche sich eben wiederholen können. Sie sind nicht dieselben geblieben, aber sie kehren wieder. Aber in jedem Fall scheint das Neue nicht ganz so neu, wie es vielleicht selbst gerne erschiene.
Schaut man sich um, sieht man sich mit einer seltsamen Illusion konfrontiert. Die Geschichtsschreiber versuchten das historische Ereignis darzustellen, wie es eigentlich gewesen ist (Ranke). Doch dass nichts eigentlich gewesen ist, war bloß offensichtlicher Einwand und Korrektur. Viel entscheidender hingegen ist, dass Objekt und Artefakt, sozusagen das Belegmaterial der Geschichtsforschung, ins Hintertreffen gerieten. Beziehungszusammenhänge, Korrelationsnetzwerke, politische und ökonomische Feldbestimmungen, strukturale Verweissysteme ersetzten zunehmend jede eigentliche Bedeutung des Objekts. Krypten und Mumien, Fetischobjekte und Kleinode wurden nicht erst in Hergés Comicalben als Träger von Botschaften dechiffriert und daher schlussendlich materiell überflüssig. Schmutzige Götter enden in den Vitrinen der Museen, wo man sie umkreisend anstarren kann, oder am Fließband ihrer massenhaften Vervielfältigung und Verteilung.
Doch ist dem so? Bleibt es nicht doch beim Objekt, das mich fesselt und nicht loslässt? Ist es nicht doch das Objekt, das sich mir stetig entzieht? In den Objekten (zu denen man – wie gleich ersichtlich werden sollte – auch Subjekte zählen darf), aber auch in den Korrelationen und Verweisspuren, insistiert etwas, das über eine zweiseitig gedachte Möglichkeit und Wirklichkeit hinausgeht. Da ist nicht nur ein Artefakt, der sich auf der einen Seite aufdrängt oder isoliert wird und die Verformung oder Informierung dieses Artefakts durch unsere gesellschaftliche Verfasstheit oder Diskursformation auf der anderen. Objekte bleiben durch ihre Insistenz als psychische Objekte (tönend im weitesten Sinne) auch immer Sender von Botschaften. Dabei wissen aber sowohl die Sender dieser Botschaften zum Großteil nicht was sie senden (und das heißt auch keineswegs, dass mit einem solchen Sender nur ein menschliches Bewusstsein gemeint sein kann), sondern auch die Empfänger verfügen nicht über die Mittel zur Beantwortung der Frage, was diese Sender von ihnen wollen, was sie ihnen zu sagen haben. Geschieht es? und Was will (es) von mir? sind folglich keine Fragen, die man beantworten kann, sondern man verantwortet sie. Hier geht es nicht darum, den Abstand von Ereignis und Erlebnis zu überbrücken, sondern es gilt, seine Spannung offen- und auszuhalten.
Wird vorgegeben, dass Botschaft und Objekt für die Geschichte überflüssig werden, da sie nichts weiter als Funktionsagenten seien, stoßen wir auf einen versteckten Idealismus, der durchaus auch ein deutscher ist. „Charakteristisch für den deutschen Idealismus, sowohl in seiner Theologie als auch in seiner Erkenntnistheorie, ist die Apotheose der Bewegung über die Realität, der Funktion über die Substanz, der Energie über die Materie. […] Wandel und Geschichte werden zu Grundattributen des göttlichen, und das göttliche Leben ist der allgemeinen moira der Zeit unterworfen. Zwar haben sowohl Fichte als auch Hegel darauf hingewiesen, daß die Bewegung der Gottheit, die sie beschreiben, nicht eine Bewegung in der Zeit ist, sondern ,logischen Charakter‘ hat, aber dennoch bleibt unübersehbar, daß die Bewegung anders als in der Zeit nicht manifest werden kann …“ (3) Doch dort, wo jedwede Substanz in eine Funktion umgewandelt werden kann, begrüßen die einen begeistert die größte Errungenschaft, wir hingegen sehen darin eine Krise, die mitnichten bloß eine des Menschen ist.
Fine slices, microphones and garments
Das Verhältnis von Bruch und Zeit, Bruch und Dauer, Dis-Kontinuität und Kontinuität sollen daher anders gedacht werden. Wir behaupten also, dass durch die Besinnung auf Materialität und Affektivität des psychischen Objekts die zeitliche stasis (und stasis bedeutet zugleich „Stillstand“ wie auch „Aufruhr und Bürgerkrieg“!) ihren hohen Anspruch einbüßt. Gerade im Zusammenspiel von Bild und Ton kann sehr gut gezeigt werden, dass sich in der Diskontinuität keineswegs Bruch (Da) und Dauer (Fort) ablösen, sondern verlötet sind. Michel Chion spricht rücksichtlich des Tonfilms von Indiskontinuität. Ein Neologismus der doppelten Verneinung welcher besagen will, dass hier Kontinuität gerade durch ihre Unterbrechung oder Wechselhaftigkeit – besonders was die vektorisierende Tonspur angeht – repräsentiert wird. (4) Bill Viola behauptet darüber hinausgehend bezüglich des Videobildes im Allgemeinen: „Technologically, video has evolved out of sound (the electromagnetic) and its close association with cinema is misleading since film and its grandparent the photographic process are members of a completely different branch of the genealogical tree (the mechanical/chemical). The video camera, being an electronic transducer of physical energy into electrical impulses, bears a closer original relation to the microphone than it does to the film camera.“ Aus diesem Grunde wird das strömende Gewebe des Tonalen durch zeitliche Schnitte zu einem kairotisch (5) rhythmisierten Bild-Kleid. „The fabric of all video images, moving or still, is the activated constantly sweeping electron beam – the steady stream of electrical impulses coming from the camera or video recorder driving it. The divisions into lines and frames are solely divisions in time, the opening and closing of temporal windows that demarcate periods of activity within the flowing stream of electrons. Thus, the video image is a living dynamic energy field, a vibration appearing solid only because it exceeds our ability to discern such fine slices of time.“ (6)
Doch was ist mit „exceeds our ability“ gemeint? Liegt hier nicht vielmehr eine Ähnlichkeit vor? Schließlich ist zwar auch kein Subjekt jemals im Jetzt, denn die Zeit des Ego ist diachronisch, doch seine Rede wird durch ein sich Öffnen und Schließen des Unbewussten unterbrochen. Die Zeit zu Begreifen bildet eine Schlaufe, die erst nachträglich wirksam und immer wieder gebrochen und gekreuzt wird. Die Einbildungskraft ist hier gebrochener Rahmen, ein geteilter Einbildungsrahmen, doch auch ein Schirm der Fantasie. Die Einbildungskraft vermittelt nicht das Fremdsein in der Welt, sondern setzt es in die Objekte ein und geht dann damit und mit ihnen um. Ein Fremdsein, das mit den anderen geteilt wird, eine Vergegenwärtigung, eine Gegenwart, die je immer schon geteilte Gegenwart ist. Vor dieser Folie gewinnt der Begriff Geistesgegenwart eine völlig neue Bedeutung. Denn diese ist niemals nackt oder neu, niemals bloß Gespenst oder revenant, Variante (von etwas) oder Apokalypse oder Advent.
Pioniere
Geistesgegenwart ist Verantwortung eines Körperwissens. „Der Weg in das Körperwissen, in die Weisheit der Erde ist ein geheimer Gang. Er verläuft unterirdisch. Man kann ihn nur von Stufe zu Stufe begehen, und nur nach Prämissen, die erst die jeweiligen Stufen bereitstellen. Keine Chance für Überflieger.“ (7) Dem Verwerfen des achtsam-forschenden Ganges zugunsten einer noch erhöhten Beschleunigung – full speed ahead – in die Katastrophe hinein ist deshalb in höchstem Maße zu misstrauen. Ob theoretische Bruchpiloten oder Kamikazeflieger, der neuerdings erhobene apokalyptische Ton in der Philosophie bringt nur … Wüsten. Im Übrigen ist die Geste einer solchen nihilistischen Beschleunigung, die sich gegen das Versagen des bürgerlichen Liberalismus und des Marxismus vor den Problemen des 21. Jahrhunderts wendet, Neuauflage und Wiederkehr dessen, was Armin Mohler bereits 1950 als den Grundzug der „Konservativen Revolution“ ab 1918 beschrieben hat. Das entbehrt in vielerlei Hinsicht nicht einer gewissen Ironie. (8)
Den medial Euphorisierten vergeht der ungebremste Spaß dieweil von selbst und wenn nicht, dann sollte man ihnen trotzdem aufmunternd auf die Schulter klopfen.
Der Pionier schließlich verlässt sich auf seine Schanzarbeiten. Er gräbt, bleibt der Erde treu, weil er auf seine Schritte, seine Füße und den Gang vertraut. Er hat das Gehen, auch das Weggehen, und den Umgang (9) nicht verlernt, errichtet keine Wände, sondern näht seine Gewänder. Deshalb muss er auch nicht immerzu alles aufzeichnen, zur Schau stellen und dokumentieren.
Es sei an dieser Stelle ergänzend festgehalten, dass ohne Zweifel auch Bill Drummond ein Pionier ist, The17 eine Pionierleistung.
A colossal New England landscape painting destroyed by flashlight
In einem Dramolett oder Kürzeststück – übrigens einem, das nie zur Aufführung gebracht wurde, sich auf keinem Tonträger findet und niemals als Hörspiel gesendet wurde, gedruckt jedoch glücklicherweise lesbar bleibt – trifft H. P. Lovecraft, Esq. auf den Kunstmaler Pickman, der gerade eines seiner riesigen Gemälde aus dem Federal Art Club, aus dem man ihn gerade geworfen hat, nach Hause trägt. Noch ehe der neugierige Lovecraft das Bild im Schein einer Stabtaschenlampe näher betrachten kann, beginnt sich dieses unter Schmatzlauten aufzulösen und zu schmelzen. Unter dem Licht der Lampe, wird es schließlich rasch immer kleiner und kleiner und verschwindet dann.
pickman : schaudernd
: es hat seinen bruder geholt, lovecraft ..
lovecraft : und ohne diese gute taschenlampe hätte es auch uns und die ganze menschliche rasse geholt ..
kutlyoo : von ganz ferne, fast schon aus einer anderen welt
urghll urghll rhyll niarhchll edison edison onkhtphot onkthtphot! (10)
Ganz im Gegensatz zum ironischen Titel, wo es heißt, Lovecraft hätte die Welt gerettet, und zur Ansicht der beiden mehr oder minder verschreckten Herrn ziehen wir den ebenso ironischen Schluss, dass zu viel tragbare Elektrifizierung untragbar wird. Cthulhu und andere alles verschlingende Kräfte an die Wand malen hingegen ist auch kein Ausweg (schon gar nicht für Cthulhu). Daher: Es nicht perfekt machen, schon gar nicht so, dass es der Akademie gefallen könnte, Kontakt zum Fernsten halten, angreifbar und seinen Idiosynkrasien treu bleiben, weitergraben, außereuropäische Fremdsprachen lernen.
Das führt uns weniger zu einem Schluss, als zum Anfang. Gibt es also ein geglücktes – und vergessen wir nicht, dass das Wort Glück sich etymologisch auf die Lücke rückführen lässt – Aufgehen in der Gegenwart, ohne dass ein wunderlicher Bruch übrigbleibt? (11) Und wie, wenn es gar kein Tier wäre, das so lebte, sondern … ? Welche Geistesgegenwart wäre für ein solches Leben von Nöten? Und welche, einem solchen auszuweichen?
Daraus folgt auch: Fröhlichere Möglichkeiten angesichts der Lage
Einen Geschmack an Zeichen (Johann Georg Hamann) braucht es. Hermetische Maler des Kolossalen und Tonsetzer von Synkopen. Poetinnen und Kryptographinnen. Kinderspielplätze. Eine recessionale Priesterschaft der Atropos. (12) Hersteller raffinierter Tabakwaren und gute Schneider. Unzeitgemäße Zeitgenossenschaften und fröhliche Tropen.
Ganz einfach.
(1) Vgl. Heiner Müller, Fatzer ± Keuner, in: Heiner Müller Material, Leipzig 1989, S. 32.
(2) Man vgl. in diesem Zusammenhang den außergewöhnlichen und brillanten Roman Remainder (Richmond/Surrey 2006) von Tom McCarthy.
(3) Jacob Taubes, Dialektik und Analogie, in: Ders., Vom Kult zur Kultur, München 1996, S. 207 f.
(4) Vgl. Michel Chion, Audio-Vision, Berlin 2012, S. 176-179.
(5) Dass der kairos als „glücklicher Augenblick“ gedacht werden kann hat seine Ursache darin, dass er das Adverb harmoi („zur angemessenen Zeit“) weitgehend ersetzt. Dieses leitet sich von harmos her – Fuge, Ritze, Gelenk. Der kairos selbst wurde zum gebräuchlichen Wort, weil er praktisch und bildlich vorstellt, wie man diese Lücke nützen kann. Beim Weben von Schuss- und Kettfaden, beim Töten durch den Speer, den man in die Lücke der Rüstung des Gegners stößt (meistens an den Gelenkstellen). Zum Verhältnis des Tonalen zum Kairotischen und zur weiteren Etymologie vgl. Andreas Leopold Hofbauer, Diverse Verbindlichkeiten, Wien 1998, S. 211-260; zur kairotic instantisation den Beitrag von Wolfgang Ernst in diesem Band.
(6) See Bill Viola, The Sound of One Line Scanning, online text.
(7) Dietmar Kamper zit. in Siegfried Zielinski, [… nach den Medien], Berlin 2011, S. 101.
(8) Vgl. Armin Mohler, Die konservative Revolution in Deutschland 1918-1932, Darmstadt 1994 (4. Auflage) vor allem S. 97 und 111.
(9) Wir sprechen in diesem Zusammenhang deshalb auch nicht vom kósmos, sondern von den komoi, den trunkenen, tönenden und singenden Umzügen, die älter als die Dionysien sind.
(10) Hans Carl Artmann, how lovecraft saved the world, in: Ders., Die Fahrt zur Insel Nantucket. Theater, Neuwied und Berlin 1969, S. 418.
(11) Vgl. Friedrich Nietzsche, Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben (II. Unzeitgemässe Betrachtung), in: Ders., KSA Bd. 1, Berlin/New York 1988, S. 249.
(12) Atropos ist die Dritte der Moiren; diejenige, die den Faden durchtrennt.
Pic out of R.H.W. Empson’s book on the Melek Taus of the Yezidi tribe.