Sleep Twitch

dellamore_1

“No. Not like this. – Like this!”

If all the matter down here is made out of the fabric of the dresses, the angels wore, when they were expelled from the highest heavens – then, alas!, the ek-stasis of love and death, their coincidence, should be our new paradise. When our passionate tongues rave and lick alongside the tucks, seams and stitchings, then this will be our desperate but nevertheless idolatrous and haughty attitude. Even when the last piece of fabric is our own skin – or the dust of our bones. Our dreams are boundless, we are “ein Stück in Tüchern” (Rainer Maria Rilke)

Andreas L. Hofbauer on the erotics of touching fabric. A screen shot from the excellent Dellamorte Dellamore by Michele Soavi (1994)

7 – Anmerkungen zur Arbeit eines öffentlichen Träumers

Das Ordnungsprinzip dürfen nicht sieben Kapitel sein, sondern sieben mal sieben, … [d]aß [sic] heißt, ein Kapitel sind sieben Personen, das andere Kapitel sind sieben Handlungsorte des Brunke, das andere sind sieben Orte des Notierens von mir, das nächste sind möglicherweise sieben Formen, dann sind es sieben Türen, dann sind es sieben verschiedene Bilder, die sich die Leute von ihm gemacht haben, in den Akten oder Aussagen oder von den Handlungen.
(Thomas Brasch, [Brunke-Konvolut, S. 401])


Das Ordnungsprinzip dürfen nicht sieben Stichpunkte sein, sondern sieben mal sieben, das heißt, so viele Stichpunkte so viele Masken, das andere sind sieben Handlungsorte der Verzeichnung, das andere sind sieben Orte des Notierens von mir, das nächste sind möglicherweise sieben Maschinen oder Häuser, dann sind es sieben Türen, dann sind es sieben verschiedene Bilder, die sich die Leute von ihren Verlustierungen machen und gemacht haben, in ihren Akten oder beiläufigen Aussagen oder von den daraus resultierenden Handlungen.

(Andreas L. Hofbauer [7. Anmerkung zur Arbeit eines öffentlichen Träumers, also: HIER])

49. Eine Tür, an die Wand gemalt.

48. „Jericho aber war verschlossen und verwahrt vor den Kindern Israel, so daß niemand heraus- oder hineinkommen konnte. Aber der HERR sprach zu Josua: Sieh, ich habe Jericho samt seinem König und seinen Kriegsleuten in deine Hand gegeben. Laß alle Kriegsmänner rings um die Stadt herumgehen einmal, und tu so sechs Tage lang. Und laß sieben Priester sieben Posaunen tragen vor der Lade her, und am siebenten Tag zieht siebenmal um die Stadt, und laß die Priester die Posaunen blasen. Und wenn man die Posaune bläst und es lange tönt, so soll das ganze Kriegsvolk ein großes Kriegsgeschrei erheben, wenn ihr den Schall der Posaune hört. Dann wird die Stadtmauer einfallen, und das Kriegsvolk soll hinaufsteigen …“ (Jos. 6; 1-6)

47. Ich

46. Im Schoß des in einem selbst errichteten und später so genannten Erektions- oder Exekutionsstuhl aufgefunden Leichnams des Architekten D. H. aus dem Westteil der Stadt Berlin findet sich ein 2000 Seiten Konvolut, dessen letzte Seite – die von rechts oben nach links unten ausgestrichen ist – die Anweisung gibt, von einem Schriftsteller restauriert zu werden, der eine Pause benötige beim Herstellen künstlicher Charaktere und sich dergestalt einen neuen Beruf zu verschaffen vermöchte, und zwar eben den eines Restaurators. Dieser Schriftsteller kann hernach das so Herausgestellte unter eigenem Namen veröffentlichen, jedoch nicht in das Gefängnis eines Buch-Hauses hinein – und somit in das ebensolche Gefängnis eines notwendig dazu gehörenden Verlags-Hauses – sperren, sondern selbiges nur etwa an Zeitungskiosken oder in Einkaufspassagen zu Entbindung bringen.

45. Künstliche Charaktere, Käufliche Personen; die Liebe und ihr Gegenteil.

44. Du

43. Eine seltsame zölibatäre Maschine, ein bemerkenswerter Beeinflussungsapparat. So ganz ohne Drähte und Knöpfe einer analogen Maschinerie. Gibt es eine Klinik für dieses Symptom?

42. Die Identifikation in der Mechanik der Objektwahl geht der eigentlichen Objektsetzung, also der Objektwahl durch Projektion voraus. „Nicht die Geschichte von Brunke ist die Geschichte, die erzählt werden muß, sondern die Geschichte von einem, der sich in die Bruhnke-[sic]Geschichte verbeißt, weil er etwas anderes verschweigen will“, schreibt Thomas Brasch. Und es stellt sich dabei nicht einmal die Frage: Aber was?

41. Er

40. Thomas Brasch und sein Konvolut über Brunke sind die Restauration des Konvoluts des Architekten D. H. über Brunke, das seinerseits wiederum wohl als die Restauration Brunkes als Konvolut angesehen werden muss. (Denn Karl Brunke verfügt nur über den nie geschriebenen Text mit dem Titel „Die Liebe und ihr Gegenteil“)

39. Eine Drehtür

38. „Und beim siebenten Mal, als die Priester die Posaunen bliesen, sprach Josua zum Volk: Macht ein Kriegsgeschrei! Denn der HERR hat euch die Stadt gegeben. Aber diese Stadt, und alles was darin ist, soll dem Bann des HERRN verfallen sein. Nur die Hure Rahab soll am Leben bleiben und alle, die mit ihr im Hause sind; denn sie hat die Boten verborgen, die wir aussandten. Allein hütet euch vor dem Gebannten und laßt euch nicht gelüsten, etwas von dem Gebannten zu nehmen und das Lager Israels in Bann und Unglück zu bringen. Aber alles Silber und Gold samt dem kupfernen und eisernen Gerät soll dem HERRN geheiligt sein, daß es zum Schatz des HERRN komme.“ (Jos. 6; 16-20)

37. Sie

36. Cotheniusstraße 1

35. Diverse Verbindlichkeiten eines Mannequins

34. Kein Traum rechnet; weder richtig noch falsch. Er fügt nur mitleidlos Zahlen zusammen. Bringt sie in Form nichtkalkulierbarer Notwendigkeit.

33. Abkühlen des Textes auf Protokolltemperatur!

32. Eine der ägyptischen Hieroglyphen der Zahl 7, die vor allem in späterer Zeit häufige Anwendung fand ist, ein nach links gewendeter Kopf, was nicht zuletzt mit der Zahl der Öffnungen in selbigem zusammenhängt.

31. Kopfgeburt

30. Es

29. Schädelnaht

28. Landsberger Allee / Ecke Petersburger Straße

27. Schädelhaus des Kopfes, eingepfercht zwischen Gesicht und Gericht.

26. Alles Blumige muss durch eine Art Analyse ersetzt werden.

25. 25. April 2004, Restaurant Cantamaggio, Berlin-Mitte, abends.

24. Eine Tapetentür

23. Lust + Verlust = Verlustierung

22. Wir

21. „Wenn Liebe Verwahrung heißt, also verwahrt oder bewahrt zu sein, dann müsse das Gegenteil ja Verwahrlosung sein.“ (Thomas Brasch)

20. Wie sollte denn ein Staat an einer „Liebesmaschine interessiert sein, die wie Einsteins Relativitätstheorie Zeit und Raum vom Kopf auf die Füße stellt und wie Freuds Entdeckung von Traum und Trieb das Leben im Bett vom Bauch auf den Rücken dreht und beide Glücksfälle zusammenführt, die den Menschen das Vorhandensein eines anderen Menschen und alle damit verbundenen Tode überflüssig macht, die sprechen und singen und umarmen und streicheln und verzeihen und küssen kann und ihren Besitzer erniedrigen und von ihm erniedrigt werden will, die an seine oder ihre Freunde ausgeliehen und dabei beobachtet werden darf, die in eine Haut gekleidet ist wie jene Haut, die du in meinem Kopf in dein Kistchen verwahrt hast …“?

19. Spielmannstraße 1

18. „Am 17. Oktober kaufen wir den Revolver.“

17. Eine Maschine, wie jene, die das Fräulein Natalija A., 31 Jahre, ehemals Studentin der Philosophie, nun stocktaub und sich ausschließlich schriftlich verständigend, entdeckte. Irgendwann um 1919 und dem Dr. Tausk vielleicht in Wien davon erzählte. Seit sechs Jahren steht sie unter dem Einfluss dieser Maschine, die verbotener Weise in Berlin erzeugt wurde und betrieben wird. Ein kopfloser Rumpf in der Form eines Sargdeckels, mit allen Gliedmaßen, nur nicht mit den so genannten Geschlechtsorganen – diese seien entfernt worden. Jede Manipulation an der Maschine ist eine Manipulation an ihrem Körper. Jeder Schmerz der Maschine ist der ihre. Wie das Gefühl des Geschlechts fehlt, fehlt auch der Kopf, oder ist wenigst für sie nicht sichtbar.

16. Ein Fragezeichen, wie es in der spanischen Sprache üblich ist.

15. Unbedingte Beziehungen sind nicht möglich!

14. Der Architekt D. H. entschloss sich, nachdem er herausfand, dass die Sieben die magische Zahl Brunkes sei, unter vollständigem Verzicht auf Nahrung und Schlaf in sieben Tagen die sieben Lebenskapitel des Brunke zu Papier zu bringen und dergestalt sich so vollständig auszudenken, auf dass Platz für Brunke in seinem Schädelhaus entstehe. Sollte dies nicht gelingen, bemesse er sich derart wenig Gewicht bei, dass ein Bindfaden auszureichen hat, um aus dem Ausrufezeichen das Brunke war ein Fragezeichen, das er in diesem Falle für immer bleiben müsste, zu machen, das sich in den Tod krümme.

13. „Rahab aber, die Hure, samt dem Hause ihres Vaters und alles was sie hatte, ließ Josua leben, weil sie die Boten verborgen hatte, die Josua gesandt hatte, um Jericho auszukundschaften. Zu dieser Zeit ließ Josua schwören: Verflucht vor dem HERRN sei der Mann, der sich aufmacht und diese Stadt Jericho wieder aufbaut! Wenn er ihren Grund legt, das koste ihn seinen erstgeborenen Sohn, und wenn er ihre Tore setzt, das koste ihn seinen jüngsten Sohn!“ (Jos.; 25f.)

12. „[S]o erscheint die Himmelswölbung mir beinahe als das Inn’re eines ungeheuren Schädels und wir als seine Grillen! – Ich bin eine, die er, wie sehr ich auch mich sträube, im Begriff ist zu vergessen!“ sagt der Marius bei Grabbe.

11. Ihr

10. Monumentenstraße 1

9. Die Ägypter unterteilten die Elle in 7 Handbreit um zur königlichen Elle zu gelangen. Dies führte zu einer subtilen Verbindung zum Gott der Schreiber, Thot, dessen schriftliche Fixierung für die ewige Gültigkeit von Ereignissen bürgt. (Gleich der Anwendung der königlichen Elle in der Architektur). Um seine protokollierenden Handlugen magisch zu fixieren, besteht sein Schreibutensil aus den sieben Binsen. Die Idealzahl der Schreibutensilien einer Palette ist folglich ebenso die sieben; – Thot, der im Jenseitsgericht protokolliert, dort, wo die Verstorbenen wieder belebt werden.

8. Die Heilige Familie unter ein Dach zu bringen war Karl Brunkes anfänglicher Plan. Oder etwa doch der seiner Mutter, aus deren Fuge er kroch? Architekt D. H. in Berlin hat diesen Plan aufgegeben, da er ein anderes Geheimnis hinter dem Tun Brunkes entdeckt zu haben glaubte. Der Verweis auf diese seltsame und doch so brauchbare Öffnung im Schädel – „jene sich kurze Zeit nicht schließende Fuge im Kopf des Säuglings (von der Natur klug eingerichtet, um die Fuge der Mutter nicht zu verletzen, den Kopf also verschiebbar zu machen, auf daß er nicht in Mitleidenschaft gezogen wird durch den engen Geburtskanal, durch den er zurück will ein Leben lang)“ – alles nur eine raffinierte Idee Brunkes eine achte Öffnung einzumahnen, die ihm einerseits zur Stelle eines nützlichen Arbeitsplatzes verhilft, ihm aber zum anderen später bei Gericht zum Nachteil oder Einwand gereichen wird.

7. Doch kaum Platz genommen auf dem Stuhl der zölibatären Maschine nimmt der Abgang vom Uterus terrae matris seinen Lauf.

6. Jedem Auftritt ist der uranfängliche Abtritt beigegeben.

5. Das Glück eines dritten Geschlechts, das sich ausbildet hinter den Fraternisierungen von Bank und Bordell.

4. Sie

3. Der Poet als Architekt, der Architekt als Maschinist, die Klammer des Maschinischen, die alle Häuser und Köpfe heimsucht.

2. Die Städte Kanaans waren bloß kleine Verwaltungszentren Ägyptens, in denen lächerlich machtlose Fürsten mit ihren kleinen Stäben lebten. Jericho verfügte über keinerlei Befestigungsanlagen. Es ist sogar möglich, dass die Israeliten unter dem historischen König Josiah bloß Ruinen zwischen verstreuten Hirtensiedlungen vorfanden. Darüber, wie es den Huren oder käuflichen Personen im Allgemeinen oder Speziellen dort erging, ist so gut wie nichts bekannt.

1. Das Haus für Brunke wird nicht fertig.

0. Eine Tür, in einer Mauer, die es nie gab. – Und an dieser Schwelle vor einer neuen ungeahnten Tür und einem neuen ungeahnten Grund vielleicht, wandelt sich die Wand zum Gewand, schält sich der TraumBrunke („Das Blanke Wesen“) mit einer verrosteten Nagelschere die Haut vom Leibe und legt sie erstmals nicht mehr fein säuberlich zusammengefaltet in ein Kistchen oder in sonstige Lade, sondern wirft sich das Kleid über die Schulter und … läuft … los …

Andreas L. Hofbauer for Juliettes Literatursalon and the Jewish Museum of Berlin. This text was red / dreamt by the author himself for the first time in public on April 25, 2004, at Cantamaggio (Berlin). It refers to Thomas Brasch small book “Mädchenmörder Brunke” and the several thousand pages of the so called “Brunke-Konvolut/Die Liebe und ihr Gegenteil” by the same author. Brasch, Brunke, east, west, Jewish, German, murderer, bank teller, piano teacher, Kabbala, bachelor-machine – a wondrous textlandscape.

Villa dei Misteri

Untitled 7

An irgendeinem Ende des vermeintlichen Rundgangs angekommen, schließt keine schüchterne junge Dame im Faltenrock verschwiegen und verschwörerisch das Gabinetto degli oggetti osceni auf – wie dies auch heute noch im Archäologischen Museum in Neapel geschieht –, sondern den Besucher (i. e.: uns) erwartet Miss Muerte(1), ein doppelgeschlechtlicher Engel der Geschichte eigener Façon. Nicht eröffnen sich dem Betrachter nun die Schatzkämmerlein luxuriöser Häuser (venerea) der Vergangenheit, die ihm noch einmal die In-Szene-Setzungen des Repertoires luxuriöser Ausschweifung vor Augen führen und nochmals die anregenden Stellungen des Liebesakts (figurae Veneris) kaleidoskopisch vorbeiziehen lassen. Miss Muerte ist weder Artefakt noch Mechanismus der Zukunft, sondern Dreh- und Angelpunkt einer Geschichte, die aufgehört hat, in den Kategorien von Historizität oder Zyklus (Vergehen und Werden) vermessen zu werden. Ihr Kameraauge weist sie als erste untote Erscheinung aus; als Schreib- und Leseapparatur, die unverzüglich die von ihr produzierten Bilder wieder in die Welt der Schatten übergehen lässt. Die Personage, die sich um ihr Auge herum versammelt, inmitten der obszönen Kulisse eines träumenden Gottes, ist illuster. Friedrich Nietzsche und Sarah Bernhardt, Isadora Duncan und Alexander Moissi, Marinetti und Oemichen, die Duse und Dionysos … sie zelebrieren ihr eigenes Über-Leben während einer letzten, großen und wahrhaften Orgie, die, wie alle Orgien, ihre scheppernde Nackt- und Bloßheit nicht verbirgt. Ihr Reigen ist kein bunter, sondern ein Requiem auf jede Beruhigung durch derlei Idee. Dort wo jeder stolz als sein eigener Unternehmer geendet hat, wurde auch jeder sein eigener Hampelmann. Die sogenannten Größen der Geschichte nicht ausgenommen. Die Phrasen und zitatorischen Querverweise auf ihre eigene Vergangenheit in ihrer wechselseitigen Anrede verweigern sich jeder Mit-Rede. Dadurch enttäuscht sich geglückt die Illusion einer friedfertig ausgehandelten Kommunikation, dort wo diese immer schon eine disziplinatorisch verordnete war. Und durchaus stolz stellt sich ein solches Zittern morscher Knochen (jener erhabenen und materiellen Reste, die, gleich den Schatten, Gäste sind die bleiben) gegen plumpe Expression vorgegaukelter Individualität und Entbundenheit, ohne aber aufzuhören, Freiheit einzumonieren. Nicht länger befriedigt jeder die Lust am anderen, sondern das Symptom des Anderen entlarvt sich als das, was es ist: gar nichts mit ihm zu schaffen zu haben.
Das Theater derart postdramatisch verwandelnd, die ganze Maschinerie des Theaterapparats erneut in Anschlag bringend, wird die Institution durch Prostitution ersetzt, ohne dieser zu gestatten, sich selbst wieder zu institutionalisieren. Ivan Stanev stellt in seiner Villa dei Misteri konsequent abzüglich in Rechnung, dass nicht allein Menschen Kartenhäuser bauen (und in ihnen leben), sondern dass sie selbst solche sind. Die fragile Konstruktion einer Bühnenarchitektur, die ihre eigene beständige Erosion nicht verschleiert, sondern exponiert. Ihr er- oder geträumter Einsturz ist einregistriert in eine Maschinerie, die ihr eigenes Zittern immer wieder zur Schau stellt, einen Spielraum preisgibt, der gegen die Eventualitäten des Zusammenbruchs nicht versichert, sondern ihn als ihr Fundament ausweist. Hier haben die Schatten Hunger, und die Gebeine keimen. Wo derart eine Aura verfliegt, stellt sich schnell heraus wie schwer es im Grunde zu begreifen fällt, dass es doch ein Alltägliches und Profanes gibt, das sich von der erlogenen Seinstotalität verabschiedet und ein neues Leben zu leben begonnen hat. Ihm gibt Stanev die Würde seiner Leichtigkeit und Stumpfheit, seiner Gebrechlichkeit und Schmerzlichkeit, seines Verlorengehens zurück. Und er tut dies, indem er seine Zuseher wie auch seine Figuren der Heimsuchung eines nicht enden wollenden Erwachens aus einem Traum aussetzt, um den wir alle nur zu gut wissen, wenig aber davon ahnen. Auch die pornai und Größen der Geschichte sind noch nicht erlöst aus ihrem Gefängnis des Kontext, doch dieses Mysterienspiel der Zeit vor der Phototapete der Fresken aus der Villa dei misteri heischt gar nicht nach Erlösung. Jenes Über-Leben ist nicht Schritt hinaus (weder Austritt ins Paradies noch Abtritt in die Auslöschung), sondern es erweist seine eigene Perspektive des Glücks.

Das Geraune einer Vielzahl, das sich nicht zu einer Stimme sammelt; das Geraune, das uns Schaudern macht, weil es zuweilen monoton oder schrill ist, wie die hängen gebliebene Nadel auf einer alten Schallplatte oder eine Polizeisirene in der Nacht. Ein Geraune aber auch, aus dem wir manchmal die vertrauten Akzente derer zu vernehmen glauben, die wir unsere „many thousand departed friends” (Edgar A. Poe, Shadow) heißen dürfen: Wie schwierig aber aufhören zu müssen den Nächsten zu lieben, damit man Freundschaft mit dem Fernsten schließen darf. Um Miß Muerte drehen sich die Schatten, die uns tonlos zuzurufen scheinen: „Bemerken Sie auch, daß ich kein Mitleid mit Ihnen habe, um sie zu rufen; und sie nicht schätze, um Sie zu erwarten … Indessen rufe ich Sie und erwarte Sie —” (Friedrich Nietzsche, Nachgelassene Fragmente). Ivan Stanevs Villa dei Misteri ist keine Beschwörung, sondern Ausdruck dessen, was nicht mehr oder weniger einfordert als: Sesam öffne sich, ich will hinaus. Ungewiss bleibt, ob er dies schon getan hat.

(1) So lautet auch der gleichnamige Titel eines Films des Sex-Thriller-Trash-Regisseurs Jess Franco (eigentlich: Jesus Franco), dessen eigener Name wiederum auf merkwürdige Weise den doppelt apokalyptischen (im Sinne einer Enthüllung der Wahrheit) Charakter von Ivan Stanevs Villa dei Misteri widerspiegelt.

Andreas L. Hofbauer (2002) for Ivan Stanevs Villa dei Misterii (Sophiensaele/Berlin). Costume design and pic by Heidi Müller.