

Out now: Ruin von Thomas De Quincey (Friedenauer Presse, Berlin 2022), herausgegeben, übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Andreas L. Hofbauer.
Get your copy at Matthes & Seitz Berlin!
Out now: Ruin von Thomas De Quincey (Friedenauer Presse, Berlin 2022), herausgegeben, übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Andreas L. Hofbauer.
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Hosen sind zwei gegabelte Röhren, die fuglos in einem oben offenen, schnür- und füllbaren Hüftsack enden. Die internationale Mode- und Bekleidungsindustrie spricht daher von bifurcated garments. Ob diese Röhren nun mit je einer Bügelfalte versehen werden oder aber mit keiner spielt nur eine unwesentliche Rolle. Üppigere Drapierungen oder Fältelungen sind nicht zu erwarten. Während sich noch in der griechischen Antike die Bekleidung von Männern (chlamys / himation) und Frauen (peplos / chitón) bestenfalls durch die Saumlänge unterschied, ist das nun schon seit geraumer Zeit anders. Tragen Männer Kleider oder Röcke, die in der Regel für Frauen gefertigt wurden, dann öffnet sich sofort ein gewaltiges Feld, das bevölkert ist mit Fetischen, Geschlechterdifferenzen, Transvestiten, Perversionen, Crossdressing, Homo-, Hetero oder Transsexualitäten. Dieses wird dann immer noch gerne mit der Sehhilfe einer Psychoanalyse überschaut, die schon länger keinen Optiker gesehen hat. Entbergung und Verbergung, Ordnung des Schleiers und Ordnung der Einhüllung; egal ob das Objekt verborgen wird oder der Objektmangel – es bleibt bei einer Logik des Blicks und der Sichtbarkeit von Objekten. {…} Wir dürfen uns [aber] einen erotisch begeisterten Menschen denken, dem das Eintauchen in das Kleid dem Betreten einer hermetischen Kammer oder dem Angespült-werden an den Strand einer Insel gleicht. Sensorische Erfahrungen kollabieren und durchmischen sich, da der andere aufhört, die Ränder und Übergänge der Welt zu sichern. Die das ganze Feld bedingende Wahrnehmungsstruktur gerät ins Schwanken dort, wo, im Zurücktreten des anderen, Bewusstsein und Objekt anfangen eins zu werden. Ein solcherart leidenschaftlich Begabter lässt daher die Gabelung hinter sich, wenn er sie gegen das Kleid tauscht. Er erprobt ein disinvestment hinsichtlich der Dichotomie. Das Kleid, das er zu werden beginnt, wird gewissermaßen vom Chaos, vom Wirbel, erfasst; es gleicht nun auch einem Resonanzkleid, das wie eine Membran die pulsierenden Lineaturen aufnimmt und sie in Intensitäten verwandelt. Will man auditiv fassen, dann „raschelt“ und „rauscht“ ein Kleid grundsätzlich. Die pathische Apprehension (Guattari) die hier ins Spiel kommt, wird vom Nicht-Organischen aufgeschlossen, das ein solches Begehren ergreift und kapert, ohne sich sofort wieder entlang der eingefahrenen Organisationsordnung der Fetisch-Lust einfangen zu lassen. [Auszug]
Original photography by Andy Tan. Model: Jelle Haen (Future Faces)
The author Andreas L. Hofbauer for Pecha Kucha Berlin (# 16) at Festsaal Kreuzberg Berlin/ December 15th, 2009.
Many thanx to Laura López Paniagua for sampling and choosing the pics with me!
“No. Not like this. – Like this!”
If all the matter down here is made out of the fabric of the dresses, the angels wore, when they were expelled from the highest heavens – then, alas!, the ek-stasis of love and death, their coincidence, should be our new paradise. When our passionate tongues rave and lick alongside the tucks, seams and stitchings, then this will be our desperate but nevertheless idolatrous and haughty attitude. Even when the last piece of fabric is our own skin – or the dust of our bones. Our dreams are boundless, we are “ein Stück in Tüchern” (Rainer Maria Rilke)
Andreas L. Hofbauer on the erotics of touching fabric. A screen shot from the excellent Dellamorte Dellamore by Michele Soavi (1994)
Ca. 20’ Laufzeit. Loop. 2 Schauspieler. Eine Frau. Ein Mann. Frau: ca. 30 Jahre alt. Trägt ein historisches Kleid. Helle Farbe. Wirkt ein wenig wie ein Kittel (jedoch ohne Anklänge an Upperclass oder Heilanstaltsinsassin). In der Mitte durch Mieder versteift. Mann: ca. 50 Jahre. Neutral gekleidet. Nicht historisch. Möglicherweise gedeckter schwarzer Anzug. Raum: Trägt der Idee “Falte” Rechnung, indem er mit Mollton (weiß) ausgekleidet ist.
Der gesprochene Text bleibt möglichst nah am Original. Interaktion zwischen den beiden Figuren ist zumeist nur gestisch und figuriert sich entlang des Textmaterials. Die Frau spricht zuweilen in der dritten Person über sich, so als ob sie über eine Freundin oder eine ihr bekannte Person spräche. Die Konversation und die Reden bleiben gespenstisch. Vagheit herrscht vor. Keine Kommunikation im eigentlichen Sinne.
[Großaufnahme; Gesicht des Mannes frontal; während er spricht, fährt die Kamera zurück]
Mann:
Ich saß auf dem Stuhl nicht wie gewöhnlich, sondern rittlings, und der Sitz war mit Samt überzogen. Da mir die Empfindungen angenehm waren, habe ich es noch einmal gemacht; aber niemals hatte ich von dergleichen reden hören. Der Gebrauch des Fingers ist erst später gekommen.
[Frau; nun neben dem Mann im Profil]
Ich habe geheiratet, um ein schönes Kleid aus schwarzer Seide zu haben, das aufrecht steht. Nach meiner Heirat zog ich noch Puppen an; das tue ich noch immer gern. Die Seide hat ein Rauschen, ein Zirpen, das mich kommen lässt. Schon das Wort Seide sagen hören, oder sich die Seide im Gedanken vorstellen genügt, um eine Erektion der Sexualorgane hervorzurufen. Der vollständige Orgasmus stellt sich bei der Berührung und vor allem bei der Reibung der Seide an dieser Region ein. Jeden Tag gab ich mich der Masturbation hin. Die normalen sexuellen Beziehungen verschaffen mir keinen Genuss.
In den großen Warenhäusern habe ich oft gestohlen. Mein Strafregister verzeichnet 26 Verurteilungen. Einmal wegen Entwendung eines Seidenkleides, das ich nach dem Diebstahl zusammengerollt und unter dem Rock zwischen meine Schenkel gesteckt habe. Eines Tages trat ich in ein großes Warenhaus ein, getrieben wie von einem Zwang. … In der Seidenabteilung faszinierte mich ein Kleid aus heller blauer Seide, es stand aufrecht. Eine Seide, die nicht steif steht, sagt mir nichts. Darauf war Spitze. Ich habe dieses Kinderkleid genommen, habe es unter meinem Rock verschwinden lassen, in einer großen Tasche mit einem Zipfel habe ich das Kleid genommen und damit masturbiert, mitten im Geschäft, beim Aufzug, dann im Aufzug, wo ich am meisten Genuss hatte. In diesen Momenten schwillt mein Kopf, mein Gesicht wird karmesinrot, die Schläfen schlagen, nur so kann ich genießen. Danach nehme ich den Gegenstand oder lasse ihn. Als man mich überraschte, warf ich ihn weg. Ich habe ihm sogar einen Fußtritt versetzt. Masturbation allein macht mir kein großes Vergnügen, aber ich vervollständige sie, indem ich an das Schillern und das Rauschen der Seide denke. Manchmal, wenn ich mit der Seide masturbiere, habe ich sogar an Männer gedacht. Auch wenn mir der Mann nichts macht.
Ich liebe die Seide, die ganz allein steht.
Excerpt of a screenplay, written together with Theo Ligthart for a Video-Installation (not executed yet) on Gaetan Gatian de Clérambault and the erotics of touching fabrics. We used original lines (translated by Walter Seitter) put on the record by female inmates of the police asylum, in which Clérambault used to work in Paris.
Wie wohl wäre mir, könnte ich etwas
sein, das weder Frau noch Mann wäre. Gäbe es das,
würde ich sogleich darin wohnen möchten.
(Unica Zürn)
Füttert man die Internetsuchmaschine Google mit dem Wort pandrogyn, so taucht sofort die Frage „Meinten Sie: androgyn?“ auf. Nun – nein, meinten wir nicht!
Die (englische) Wortschöpfung pandrogyne geht auf die Avantgarde- und Underground-Ikone, der Erfinder des Industrial, Musiker (Throbbing Gristle, Psychic TV), Performer und Autor Genesis P-Orridge und seine Lebensgefährtin Lady Jaye (die sich als eine Art Personalunion verstehen und unter ihrem gemeinsamen Namen Breyer P-Orridge leben und arbeiten) zurück. Ein solches pandrogyn ergänzt nicht allein eine Zweigeschlechtlichkeit und Zweideutigkeit (ausgehend von den beiden Stammsilben andr-/gyn-) um einen Buchstaben, sondern erweitert diese in Richtung eines All-Zusammenhangs, der sich von seiner binären Ausgangsidee verabschiedet. Dies wird allerdings nur durch eine altbekannte Fehlableitung möglich. Schon der antike Stoizismus hatte das griechische to pan als das All übersetzt und im logos pan menyon das alles Anzeigende ausgemacht. Dürfte die etymologisch korrekte Herleitung zwar vom mykenischen aiki-pata (Hirt/weiden) herrühren, so wollen wir uns dennoch getrost von einem creative misreading leiten lassen. Darüber hinaus handelt es sich bei pandrogyn und Stoff/Textil – von Letzterem werden wir gleich sehen, dass es die entscheidende Aufzeichnungsfläche unserer Unternehmung ist – ohnehin nicht um Begriffe. Doch spielt hier das Fehlen von Begriffsdefinitionen keinerlei Rolle, gilt doch ganz allgemein: „Wir sind unfähig, die Begriffe, die wir gebrauchen, klar zu umschreiben; nicht, weil wir ihre wirkliche Definition nicht wissen, sondern weil sie keine wirkliche ,Definition‘ haben. Die Annahme, daß sie eine solche Definition haben müssen, wäre wie die Annahme, daß ballspielende Kinder grundsätzlich nach strengen Regeln spielen.“ (Ludwig Wittgenstein)
Jenseits der mittlerweile gut eingespielten, etablierten und mit zahlreichen Meriten versehenen Gender Studies, den Verhandlungen der Geschlechterdifferenz und einem zu Weilen fröhlichen gender blending liegt, sozusagen als unbestellte und verwilderte Zone im sorgfältig kartierten Feld des Sexuellen, die Region erogener Körper. Sie sind nicht auf die Umrisse der Anatomie reduzierbar, auf die Fassungen der Biologie beschränkt oder kulturell durchgeformt. Vielmehr wird von ihnen her das ganze bislang vertraute Schema, was ein Körper sei, worin sein Erotismus bestünde und was er zu schaffen vermöchte ungewiss. Erst eine – durch eine lange Kette (etwa von Spinoza über Freud bis hin zu Butler oder Preciado) von Untersuchungen nachgewiesene – Besetzung und Produktion von Zonen körperlicher Erogenität ist dafür verantwortlich, dass und wie sich sexuelle Körper überhaupt aus- und umformen. Ihr Geschlecht ist vorerst demnach weder eins noch zwei. Sexuelle Körper werden erst über ein komplexes Signifizierungsgeflecht von Narzissmus, Alterität und passionierter Inanspruchnahme hervorgebracht. In diesem Zusammenhang also bezieht sich pandrogyn weniger auf das sexuelle oder kulturelle Geschlecht und seine Konstruktion und Repräsentation, Differenz oder Austauschbarkeit, sondern auf die Stofflichkeit erogener Formationen. Da Lust nicht vorrangig über die Funktionen des Geschlechtsapparats gesucht und gefunden wird, operiert sie vielgestaltig und merkwürdig in und an Körpern, die „Ensembles erogener Zonen“ (Serge Leclaire) sind; spiegelt sich in deren Oberflächen, durchlöchert sie, dringt in sie ein, wird von ihnen ausgestülpt, verbindet sich mit Auslagerungen anderer Körper usw. Pandrogyne Körper verstehen wir demnach als produktive Vernähungen und Verstrickungen von Phantasmen, Schnitten, Sprechakten, Gelenken, dem Denken, obsessiven Besetzungen etc., die den Ausbildungen von Körperbildern und Identifizierungen vorausgehen. Sie sind chiasmatisch (χ) und ausgefranst. Unregelmäßige Umschläge von CHI und ICH.
Pandrogyne Körper beschränken sich keineswegs auf menschliche Körper. Sie entstehen auch aus verschiedenartigen Mischverhältnissen mit nicht-menschlichen und so genannten unbelebten Gegenständen und sind folglich Kompositkörper. Weichen sie auch weitgehend den Rastrierungen von gender und sex aus oder erweitern diese erheblich, so bedeutet das freilich nicht, dass diese Dimensionen nichts mit ihnen zu tun haben. In erster Linie aber sind pandrogyne Körper psychoplastische! Pandrogyn bringt folglich den Aspekt der Plastizität ins Spiel, anstatt, wie gesagt, weiter den Ordnungen von Repräsentation, Mimesis und Rollenperformanz zu gehorchen, die unter der Herrschaft einer ideologisch erpressten Flexibilität stehen. Auch hinsichtlich des Aspekts einer gegenkulturellen Taktik sollte dabei nicht übersehen werden, dass eine solche Plastizität so manche Formen schafft und generiert, andere zugleich aber auch sprengt.
Ich bin der Stoff, der mich umhüllt. Dies ist auch ein Kurzschluss von Auto- und Panerotik. In der Wirklichkeit dieser Annahme ist das Pandrogyne mit dem Textilen verflickt. Man braucht daher gar nicht auf die esoterische Idee zurückgreifen, dass alle Materie Stoff des ehemaligen Kleides der aus dem höchsten Himmel gestoßenen Engel sei und die dem Menschen von Gott zugewiesene Arbeit darin bestünde, dieses Kleid wieder zu retten (Alchymie). Man erkennt auch ohne diese Erzählung leicht, dass die Leidenschaft am Stoff zwischen etwas Engelhaftem und dem Obszönen changiert. Die Einfalt des nackten Körpers und des reinen Geistes (die es recht eigentlich gar nicht geben kann) wird mit einer Vielzahl von verführerischen Implikationen geimpft, die von der Drapierung zur Hosennaht, von der Wand zum Gewand reichen. Und im Zuge dessen werden einige beliebte Fragen überflüssig, andere gewinnen an Kontur: Gibt es einen weiblichen Fetischismus? Warum nicht! Kann man ohne phantasmatische Stütze wahrnehmen? Natürlich nicht! …
Eine Politik der Geister und eine Politik der Körper sind bloß zwei Seiten derselben Münze. Die entscheidende Erweiterung liegt in den leidenschaftlichen (und zu Weilen obsessiven) Besetzungen von Fleisch – Textilie – Stoff (Schnitt – Naht – Oberfläche). Diese Verhältnisse kann man nicht auf die Schnelle einsacken, bei einer Semiotik der Mode innehalten oder begeistert im Funduskämmerchen der Kostümkunde stöbern. Vielmehr tastet man sich mehr oder weniger behutsam entlang von Säumen, Falten, Schlitzen vor. Keine Auseinandersetzung pandrogyner Körper kann solitär bleiben; sie ist immer eine Auseinandersetzung mit dem Anderen und anderen. Pandrogyn und Stoff sind Objekt und Subjekt ihres Genießens. Alles andere wäre ohnehin untragbar – oder unerträglich. Nicht von ungefähr gibt es bei den Weberinnen der Navahos den Brauch, keine Textilie gänzlich fertig zu weben oder mit einem umfassenden Saum zu versehen, sondern irgendwo im Gewebe eine Lücke offen zu halten.
Bei all dem hebt natürlich auch der Gott Pan – zum Abschluss soll dies noch einmal deutlich betont werden – sein Haupt. Der große Gott der Felder und Weiden, der vielleicht gar nicht so tot ist, wie es der Mythos beklagt. Auch seine Erscheinung ist eine pandrogyne und gekennzeichnet von einer faunischen Sinnlichkeit, die sich aber auch mit einer tiefen Fremdheit und Kälte gegen über allem, was ihn umgibt, paart. Sein Wesen ist durchaus auch eines des Sich-nicht-Verbindens. Seine Ek-stase ein Abgang von der Idolatrie des Menschengeschlechts. Damit beweist sich aber wiederum nur aufs Neue, dass das Gewirk von Schuss und Kette eine ebenso gegenstrebige Fügung ist, wie das Spiel von Bogen und Leier.
Ob die überschwängliche Begrüßung des Pandrogynen als „open source myth of creation“ (Breyer P-Orridge) gerechtfertigt ist, bleibt abzuwarten. Das Signum des pandrogynen Mythos wird jedoch gewiss S/He is Her/E lauten.
Andreas L. Hofbauer for Mein heimliches Auge XXII (2007/2008) Konkursbuch Verlag Tübingen
William Seabrook – Dark and tantalized genius. A magical island in his own right.
Nach der Rückkehr von ihrer gemeinsamen Reise aus Timbuktu, die auch offiziell vom Musée Ethnographie du Trocadéro (dem heutigen Muséum National d’Histoire Naturelle / Musèe de l’Homme) unterstützt worden war, beschließt William Seabrook die Mitglieder desselben über seine Forschungsergebnisse zu unterrichten. Zu diesem Zweck lädt er mit Hilfe von Michel Leiris eine Gruppe von seriösen Wissenschaftlern dieser Institution, die er selbst als „ausgestopfte Hemden“ zu bezeichnen pflegt, zu einem Essen ins Restaurant Foyot. Vorher gibt es im Studio Seabrooks einen kleinen Umtrunk. In einer Ecke, abseits der bereitgestellten Cocktailgläser, dem Eiswürfelbehälter und dem Sodasyphon, unweit des Balkons, hängt an diesem Abend eine fast nackte Frau. Marjorie Worthington, später die zweite Frau Seabrooks und langjährige Weggefährtin, nennt sie Mimi, eine Prostituierte von Montparnass. Sie trägt nichts als einen Lederrock, den Seabrook aus Afrika mitgebracht hat. Ihre Handgelenke sind an eine Kette gefesselt, die von der Decke hängt. Ihre Zehen berühren kaum den Boden. (Also eine Art des Derwisch-Danglings.) All das wird nach kurzem Erstaunen zur Kenntnis genommen und der gepflegte Smalltalk geht weiter. Auch Michel Leiris, der sich etwas verspätet, ist wenig überrascht. Nach den Getränken begibt man sich zum Essen. Marjorie gibt Mimi einen stiff drink, räumt die Gläser ab und folgt nach. Es ist durchaus möglich, dass auch Man Ray an diesem Abend anwesend war. Er wird später einige Fotografien für Seabrook anfertigen. Und es ist durchaus möglich, dass Mimi niemand anderes war als seine spätere Geliebte Kiki de Montparnasse.
„Ein jedes Ding hat zwei Griffe; einen, mit dem man es trägt und einen, mit dem es nicht getragen werden kann.“ (Willliam Seabrook)
Unweit der neonerleuchteten Boulevards spielen im Turmzimmer die jungen Könige ihre Karten. Sie spielen mit der Gelassenheit, die an Wölfe zwischen den Jagdzeiten erinnert. In den Augen der Damen blitzt das Begehren.
Draußen im nächtlichen Garten schlägt engelsgleich der Vogel Pfau sein Rad. Seine heisere Stimme mahnt, dass Leidenschaft und Stolz ihre Geschichte, ihr Geheimnis und ihr Schicksal haben. Und so auch der Schmerz, den sie bereiten. Er hat unsere Körper markiert, ihre Oberflächen gezeichnet, wie die Nadel des Tätowierers die Haut oder das Blitzlicht kristallines Filmmaterial. Wir sind geworden, was uns umhüllt. Wir stehen im Leuchten der Pracht unserer eigenen Epiphanie. Skin deep.
Im Labyrinth der Heckenreihen zwingt man einander dann die Posen der Lust ab. Alchemie der Passion. Ohne dieser Dunkelheit – wie hätte ich jemals vermocht, deinen Stern zu sehen? Über unseren Häuptern thronen seit unvordenklichen Zeiten lächelnd die Moiren. Die drei Göttinnen, die da den Faden spinnen, ihn verweben und dann wieder durchtrennen.
Alles andere wäre auch unerträglich; oder wenigstens untragbar.
Not far from the neon lighted boulevards the young kings play their cards in the tower chamber. They play with a calmness, which reminds us of wolves between their hunting times. In the eyes of the ladies flashes desire.
Outside in the nightly gardens the peacock spins his wheel like an angel. His raucous voice admonishes that passion and pride have their history, their secrets and their destiny. So does the pain they inflict. It has marked our bodies and its surfaces, as the needle of the tattoo artist has the skin, or the flashlight the crystal film footage. We became, what embosoms us. We are illuminated by the grandeur of our own epiphany. Skin deep.
In the labyrinth of hedges one forces the other to the posturing of lust. Alchemy of passion. Without the darkness – how could I ever see your star? Above our heads the Moirae thrones smiling. The three goddesses, which spin the yarn, weave it and then cut it again.
Everything else would be unbearable, or at least un-wearable.
Andreas L. Hofbauer (2006) for Kings of Hearts and Philipp Roller. All design and artwork by Philipp Roller.
Ein altes englisches Sprichwort lautet: „We are all Adams sons, silk oneley distinguisheth us.“ Wie bei aller Spruchweisheit mag einem Spruch und Weisheit wohl gefallen, doch auch hier harrt mehr im Verborgenen, als manchem recht und billig.
In den sinistren Träumen meiner Kindheit begegnete sie mir unzählige Male. Sie war eine stolze, große und grausame Göttin, die sich Ehrfurcht und Schrecken gebietend hochreckte vor der scheinbaren Unendlichkeit schwarzen Horizonts. Ihr augenloser metallischer Körper schien mir zuzulächeln, doch es war eher ein stählernes, dünnlippiges und vertikales Grinsen. Nicht die Perlen der Zahnreihen blitzten auf und entblößten sich, sondern nur ein einziger Stachel.
Weder war ich nackt, noch bekleidet. Ich war der Stoff, in den ich eingewoben. Ein Knoten oder eine Masche in einer sich unübersichtlich nach links und rechts, nach vorne und hinten ausbreitenden gefältelten Stoffbahn, die wer weiß wo aufruhte. Gebannt starrte ich (ja – ich hatte Augen um zu sehen, zweifellos, ich weiß nicht woher oder warum) auf das Schauspiel, welches nun anhob. Das Grinsen nickte mir zu. Ein Sog begann den Stoff und mich mit ihm vorwärts zu ziehen mit rasender Geschwindigkeit, geradewegs hinein in dieses Nicken. Ein Grinsen, das nickt. Schneller und schneller, auf und ab. Alles lief auf diesen einen Punkt zu, der ich sein sollte. Losmachen wollte ich mich, doch entkam ich nicht dem Verbund, in den ich eingeflochten. Der versteckte Transporteur kannte nur eine Richtung. Entsetzen und Erregung überschwemmten mich, als ich hingerissen meinem Ziel folgte. Immer, wenn ich es erreichte, erwachte ich.
Jedes Kleid (hyphasma / peplos) oder allgemeiner Gewebe (hyphos) wird aus einem gespannten, oder versteiften, vertikalen Faden (stemon / mitos) und einem horizontalen (kroke / rhodane) verfertigt. Die Worte für den vertikalen Faden sind Maskulina, die für den horizontalen Feminina. Das Verweben der beiden (symploke) wurde daher nicht erst bei Seneca mit dem Verkehr der Geschlechter identifiziert. Doch mitnichten handelt es sich um eine Form der Verbindlichkeitsherstellung (bond / Band). Vielmehr ist diese Verbindlichkeit bestenfalls eine diverse oder gar unmögliche. Leitet sich denn nicht selbst der kairos, der glückliche Augenblick, noch her vom Einschlag am Webstuhl? Vom dreieckigen Spalt beim Anhub der Kettfäden, ehe er vom Schussfaden durchschossen? Von der nur kurzfristig auftauchenden Öffnung, die vom Weberschiffchen gequert wird? Eine Lücke – aber eine, die der Öffnung im Panzer gleicht, die durch den Speer (tödlich) geschlossen wird.
Naht und Schnitt informieren das Gewebe. Der Stoff bleibt Traum, die Nadel seine Wahrheit.
In David Lynchs Inland Empire flüstert das Lost Girl Nikki Grace aka Susan Blue zu:
„Do you want to see?
…
You light a cigarette
You push and turn it right into the silk
You fold the silk over
And then you look through the hole.“
Und ein kleiner Junge trat ins Licht.
Andreas L. Hofbauer (2009); für Silvia Breitwiesers WEBWerk