Ad Katechon

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Ein Satz, geschrieben wohl im 1. Jahrhundert nach Christus, gerichtet an die christliche Gemeinde in Thessalonich (Saloniki), hat aufgrund seines anscheinend dunklen Sinns Anlass zu vielerlei Deutung gegeben. „Und nun wisset ihr, was [ihn] aufhält, bis er offenbar werde zu seiner Zeit.“ Während der erste Brief an die Gemeinde in Thessalonich ohne Zweifel von Paulus stammt und (50 n. Chr. verfasst) ältestes Schriftdokument des NT ist, ist der Verfasser des zweiten Briefes, in welchem sich unser Verweis auf den Aufhalter oder das Aufhaltende (kat-echon) findet, wohl eher nicht Paulus gewesen. Während der erste Brief noch von der Parusie (Wiederkunft Christi beim Jüngsten Gericht), also von Christierneuerter Gegenwart, zu Lebzeiten des Autors ausgeht, schiebt der zweite Brief diese bereits auf und warnt vor der Irreführung durch die stets wirksame Bosheit in der Welt. Erst wenn der Aufhalter/das Aufhaltende weggenommen sein wird, wird die Apokalypse anbrechen, das Böse endgültig überwunden und das Reich des Lichts anbrechen. Wir haben es also angesichts der Kandidaten, die für die Rolle des Aufhalters / des Aufhaltenden im Laufe der Zeit vorgesprochen haben (Rom, das Reich, der Kaiser, der Papst, das Archiv, das Museum, der Fürst dieser Welt, der Bunker u.v.a.m.), genau genommen mit einer zur Hälfte antichristlichen und sehr diesseitigen Funktion zu tun:Aufhaltung der Bewegung, welche die Welt der Vollendung zuführt, das heißt der endgültigen Verklärung oder Verlichtung. Der kat-echonist deshalb nicht allein Aufhalter/Aufhaltendes der Apokalypse, sondern indem er/es diese aufhält, auch der Aufhalter des Reiches Gottes, des Lichtreiches, das jener folgt.

Nun haben sich mit dieser Stelle über die Zeiten hinweg vielerlei Personen beschäftigt. Tertullian, Johannes Chrysostomus, Eusebius von Caesarea, Otto von Freising, Kardinal Newman, Erik Petersonoder Erich Przywara. Wirkungsmächtig im nunmehr auch schon wieder vergangenen Jahrhundert war es dann Carl Schmitt, der mittels des ihm eigenen Hangs zur Stilisierung und gemäß seiner These, dass alle politischen Begriffe säkularisierte theologische seien, dem kat-echon wieder zu Prominenz verhalf.

Bedenkt man nun aber etwa bloß die Dauer des Kaliyugas (in dem wir uns gerade befinden) von 432.000 menschlichen Jahren … und weiter, dass nach Ende dieses Zeitalters wieder das erste des Mahayugas (des großen Zeitalters) anbricht … und weiter, dass tausend Mahayugas das Kalpa (ein Tag und eine Nacht) des Brahma sind und dieser hundert Jahre lebt, dann mag man sich an seinen immer wieder neu geborenen Fingern abzählen, wann mit der Parusie zu rechnen ist. Für den gläubigen Christen mag dies hanebüchen sein, doch auch die katholischen Auslegungsversuche des kat-echon waren für die protestantische Theologie des 20. Jahrhunderts hanebüchen. Soviel nur zu Querelen im inner- und inter-religiösen Diskurs.

Doch man muss den oder das kat-echon keineswegs den Apokalyptikern von rechts und links überlassen und auch nicht den konstitutionellen Hegern von Reichen, Empires und Netzen oder den ent- oder begeisterten Usern, Agenten und Verwaltern der Tele-Technologien.

Als Beispiele mögen zwei hier genügen. Die neuartige Auseinandersetzung mit dem Begriff des Archivs auf der Ebene des Sonischen und mit der (Bewegung in der) Landschaft und ihrer Physik der Steine.

Instantaner Zugriff und permanente Veränderung von Datenmaterial erzeugt bislang erst vorahmend gedachte tempor(e)alities. Die „Erleuchtung zwischen Speicher und Prozessor“ schien lange aufgeschoben, doch nun wird durch optische Vorrichtungen, also durch Licht, Effizienz und Produktivität gesteigert. Der optische Computer wie auch der simulierte Quantenrechner erhöht die Speicherkapazität in nachgerade gewaltigem Ausmaß. Nachdem die „Eisenzeit“ (Leiterbahnen aus Metall) endgültig zu Ende ist, bleibt bloß noch das mit Licht getunte Silizium Stein im Schuh avancierter Einbildungskraft. Die mancherorts begeistert vorangetriebene Akzeleration der Aufklärung (Verlichtung als Apokalypse) verspricht – fug-, naht- und schattenlos – die totale Gleichzeitigkeit. Dies betreibt – ob bewusst oder unbewusst mag dahingestellt bleibt – auch die Austreibung der Stimmen und des Geraunes, das sich durch die Ritzen und Fugen des alten Mauerwerks vorstellig macht. Wenn das Wort Glück von Lücke herstammt (so wie das Wort gap vom altnordischen gappa, der Öffnung im gebauten Schutzwall, auch Kriegsglück versprechen kann), dann wird dieses hier exterminiert und exorziert. Aus der Fuge soll nicht länger das vormals Abgeschiedene und Vergangene sich versprechen, man lauscht nicht mehr auf die sich mühselig durchringende Artikulation des anderen (schließlich verspricht und verheißt diese nicht nur Gutes, sondern ist zuweilen auch bedrohlich, traumatisch, unheimlich und abstoßend), sondern im gleißenden Licht soll sich der Bruch für immer schließen. Kein fade out oder Abschwächung durch Aufnahme und Überspielung (Durcharbeitung), sondern Auslöschung durch oligoptische Erleuchtung.

Und hier setzen ganz abseits vom krypto-katholischen Kontext andere Versuche ein. „Archival resistance against change is a virtue in the time of networked documents which dissolve into memory-buffered streaming data.“ (Wolfgang Ernst) Andere Formen der Wahrnehmung von Landschaft, Insistenz, Ausfall und der Umgang mit ihnen sind gegen das Annihilieren der Materialität ins Feld zu führen. Peter Handke in seiner Übersetzung eines Gedichts von René Char: „Mit euren Vorgängern war ich immer in Gefahr, zu hetzen. Ihr jetzt aber seid die richtigen, weil ich in euch spürbar die Erde stampfe, und vor allem, weil ihr mir als die nötigen Hemmschuhe dient. Ihr wißt ja, die einzige Erleuchtung, die ich bisher hatte, ist die Langsamkeit.“ Gehen, Sehen, Sagen, Halten, nicht Überstürzen. Und andererseits ein Stromausfall und der Sex und die Geschlechter und die Generationen und die Steine und ein Stern und die Tiere und gutes Schuhwerk … Allesamt Aufhalter der Vollendung, des Abschlusses, des Licht-Endes.

Ob es auch eine Katechonin geben kann oder gegeben hat wissen wir nicht. Doch dassdas Weibliche – das sich mitnichten auf die Frau beschränkt – sich des ungeschickten Zugriffs entzieht ist keine dunkle Andeutung, sondern fröhliche Wissenschaft.

Den Tatmenschen, die immer gerne auf Ganze gehen (kat-holos), sei jedoch ins altmodische Stammbuch geschrieben: „Wer den Antichrist will erschlagen, ist des Antichrists Thier, darauf er reitet, er wird nur mächtiger im Zanke.“ (Jakob Böhme, De triplici vita hominis, 1620)

Weiterführende Literatur:

Jane Bennett, Vibrant Matter: A Political Ecology of Things, Durham 2011.

—, Vibrant Matter – Zero Landscape, Interview mit Klaus K. Loenhart in: GAM Graz Architektur Magazin (7/2011)

Wolfgang Ernst, Chronopoetics of Techno-Archival Memory, in: Dis-Continuity (CTM.15 / 2014), S. 44-49.

KATECHONTEN. Den Untergang aufhalten. Tumult (Schriften zur Verkehrswissenschaft) Bd. 25, Berlin/Wien 2001.

Walter Seitter im Gespräch mit Rudolf Maresch, Die Unentrinnbarkeit des Politischen, online verfügbar.

Picture by Alastair (aka Hans-Henning von Voigt)

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Drache

Die schlange kriecht oder ringelt sich auf dem boden,
stehen ihr flügel zu gebot, so heißt sie drache.
(Jakob Grimm „Deutsche Mythologie“)


Eine Schlange, die noch keine andere gefressen hat, wird kein Drache. [Serpens, nisi ederit serpentem draco non generetur.]
(Hier zit. nach: Heimito von Doderer „Die Wiederkehr der Drachen“)



Sehr geehrter Herr Pfarrer,
Ich danke Ihnen bestens für die ungemein interessante Darstellung. Es ist eine Art von Ritter St. Georg, bei dem aber der untere Teil ein Drache ist. Eine durchaus ungewöhnliche Darstellung! Es ist, wie wenn darin das Bewußtsein ausgedrückt wäre, daß der Drache die untere Hälfte des Menschen ist, was in Tat und Wahrheit ja auch der Fall ist. Man kann daher dieses Bild gut als eine Darstellung des innern Konflikts auffassen oder auch als das Gegenteil, nämlich als einen Ausdruck der Tatsache, daß Drache und Held eigentlich zusammengehören und eines sind.
Diese Einsicht ließe sich aus der Mythologie schon einigermaßen belegen und hätte sehr weitreichende Folgen, wenn sie vergleichend religionshistorisch untersucht würde. Mit vorzüglicher Hochachtung und bestem Dank,
Ihr ergebener
(Carl Gustav Jung an Pfarrer Jakob Amstutz am 23.I.1948)




Lange schon war der Krieger allein geritten und längst hatte er die Zahl der Tage vergessen die verstrichen waren, seitdem er seinem Volk und der großen Armee den Rücken gekehrt hatte. Das hohe Bergmassiv lag weit zurück als er das Wäldchen erreichte, von dem er wusste, dass hinter ihm die große Steppe begann.

Ein letztes Mal hielt er inne um sich umzuwenden. Mit einem Ruck riss er sich los von dem Bild, dessen er gewahr wurde und trieb seine Pferde weiter vorwärts.

Das Wäldchen war nicht groß, doch immer wieder verlor er die Orientierung. Es schien ihm, als wäre er acht Pfaden gefolgt, die ihn aber immer aufs Neue zur selben Weggabelung zurückführten. An dieser Wegkreuzung hielt er nun erneut inne und sah sich um. Überlegte für eine Weile; sollte er wieder einen der schon berittenen Pfade wählen um zu versuchen den Irrtum seiner Abirrung herauszufinden? Doch er entschied sich anders und wählte den neunten Pfad. Vorwärts brach er durch das Unterholz und zwischen den Bäumen hindurch -, geradewegs, bahnend, vorwärts.

So erreichte er das Gestade eines gewaltigen Sees der ihm auf den ersten Blick noch größer schien denn die Steppe, in der sich dieser ausbreitete.

Aus der hohlen Hand trank er Wasser, kniend, neben seinen Tieren. Sein Blick fiel allein und starr auf das sich im Wasser spiegelnde Antlitz eines ihm Fremden.

All dies geschah in einem Zeitraum von dem wir nicht zu sagen vermögen, wie lange er währte.

Kurz nachdem er sich nahe des Feuers über dem er Tee bereitete hingekauert hatte wurde er am Horizont einer Gruppe Menschen gewahr, die auf ihn zustrebten. Befremdlich schien ihm dies, da sie nicht zu Pferde waren, wie hier jedermann. Befremdlicher noch, da es sich offenbar um eine Art Prozession wichtiger und bedeutender Leute handelte, was er aus den mitgeführten Standarten und der Art wie die Gruppe einher schritt schließen zu müssen glaubte. Still und beinahe reglos erwartete er ihre Ankunft.

Die Gruppe die hernach vor dem Krieger stand umfasste folgende Personen: 1. Der Fürst (als einziger unter einer Art Baldachin, der von vier Sklaven getragen wurde und ihn sogar vor der fahlen Sonne dieser Jahreszeit schützen sollte), 2. seine Gemahlin, die Fürstin 3. einige Kleine Gemahlinnen (der Krieger zählte sie nicht), 4. drei Söhne und eine Tochter, 5. einige Damen (auch sie zählte der Krieger nicht), 6. ein paar Vasallen, 7. die Weisen, 8. drei weitere Weißbärte, 9. einige Träger und 10. ein Grüppchen Soldaten.

Der Fürst schritt unter seinem Baldachin hervor und trat grüßend auf den Krieger zu, der sich erhoben hatte. Nahe trat er an ihn heran, der seinen Kopf nur kurz gesenkt hielt und dem Fürsten dann gerade ins Gesicht blickte. Nach einer Weile sagte der Fürst:

– Das Feuer in Deinen Augen und die Glut Deines Gesichts versichern uns, dass Du einer derjenigen bist, nach denen wir Ausschau halten. Ich bin der Fürst dieser Provinz und treuer Knecht des hochmächtigen Khan, dessen Reich ohne Grenzen ist und welches du sehr wohl kennst. Sein Name sei geheiligt und wer ihm den Respekt versagt soll sterben. Wende Deinen Blick nach Westen und Du wirst meines Ails ansichtig werden. Siehst Du meine prächtige weiße Jurte in der Sonne funkeln? Weit, weit reicht mein Land und meine Herden sind zahllos.

Doch großes Unheil hat sich über uns ausgebreitet. Höre von einem meiner weisen Berater, worin es besteht.

Ein hochbetagter Weißbart trat nun neben den Fürsten. Seine Worte lauteten:
– Krieger! Ein Mogur bedroht die Gegend. Ein schrecklicher Drache. Zuweilen erhebt er sich aus den Wassern dieses Sees, an dessen Ufern wir hier stehen. Er steigt hoch und gewaltig auf und spannt seine schwarzen ledrigen Flügel, damit sich die Sonne verdunkle. Aus seinem schnabelförmigen Rachen stößt er das Gekreisch des Vogels Pfau, nur tausendmal lauter. Seine Forderung ist klar. Er will das Fleisch unserer Herden und unserer Töchter, das Fleisch unserer Prinzensöhne schon kurz nach ihrer Geburt. Sein Hunger ist niemals gestillt. Mehr und mehr haben wir ihm vorzuwerfen. Der Khan sandte uns mutige Krieger, doch keiner konnte den Drachen besiegen. Zuweilen verführt dieser Drache seine Opfer gar, indem er sie in einen blinden Wahn reißt. Bewusstlos warf sich mancher schon in seine Klauen. Man erzählt gar von Schafen, die sich vor seiner hochaufgefahr’nen Gestalt auf den Rücken warfen und ihre Bäuche zur Zerreißung hinhielten.
Der Mogur ist in allen Elementen zu Hause. Er steigt hoch auf in die Lüfte. Er bricht durch den Sand der Steppe. Er ist klein wie ein Seidenwurm und im nächsten Augenblick groß wie der heilige Berg, der schon war bevor unsere ältesten Ahnen das Licht dieser Welt erblickten. Es ist eine Erscheinung, die in ihrer Pracht über alle Ufer tritt. Vereinend die gleißende Macht des Mittags mit dem Sturz des Lichts in dunkelste Nacht.
Regelmäßig erscheint er dort drüben am anderen Ufer des Sees neben den Höhlen. Dort zollen wir ihm auch den geforderten Tribut und ebendort erwarteten ihn die Krieger zum Kampfe.

Nachdem der Alte geendigt hatte, trat er wieder zurück in die Gruppe. Abermals blickte der Fürst den Krieger an und ergriff erneut das Wort:
– Gehe hin und töte den Mogur für uns! Nach erfolgter Tat werden wir Dich einladen und Dir die Gastfreundschaft erweisen, die einem Helden gleich Dir gebührt. Es soll dir an nichts mangeln. Es wird ein hunderttägiges Fest geben. Die schönsten Sklavinnen werden Dein sein. Aus dem Brunnen, der so fein gefertigt und beinahe so groß wie der des Khans ist wird Tag und Nacht Kara-Kumys und Wein fließen. Du wirst an meiner Seite sitzen und jeder soll dich höher achten als meine eigenen Söhne. Ich werde nicht länger dein Fürst sein, sondern ein neuer Vater. Geh hin und töte den Mogur und gegeben soll Dir sein, was du wohl schon immer begehrtest. Die Macht und die Glorie des Ruhm’s ewigen Friedens. Wenn du beendet hast den steten Wahnsinn der Opferungen. Sieh’ uns hier mit dir stehen an der Schwelle eines neuen Zeitalters, das nie enden mag.

So sprach der Fürst zum Krieger. Und die Weisen nickten und die Prinzessin lächelte, etwas geistlos möglicherweise, aber vielleicht auch nur verschämt.

Und auch der Krieger nickte.

– Lasst uns ein Rauchopfer tun!
Sie verbrannten Wacholder.

Nachdem der Fürst und sein Gefolge die Lagerstatt des Kriegers verlassen hatte, schlief dieser eine Nacht tiefen, traumlosen Schlafes. Am nächsten Morgen bestieg er sein Pferd und umrundete den See in Richtung der Höhle, die ihm der Weise gewiesen.

Fauliger muköser Gestank überall. Doch er stieg hinein tiefer ins Labyrinth der Höhle. Sah die Gebeine, die zerbroch’nen Bogen, die verrosteten Helmzieren all seiner Vorgänger. Die gebroch’nen Schwerter und Schutzwaffen. Er kroch – durch ihre Gebeine hindurch – tiefer und tiefer hinein. Und mit wildem und mutigem Schrei rief er den Drachen um ihn zu fordern. Seine Stimme echote zwischen den Knochen, die umher lagen wie die ausgespienen und erbrochenen Worte verzweifelter Dichter. Und er schlug an den Stein der Wände, er fluchte in den Staub des Bodens, er lief zurück zum Eingang der Höhle und heulte seine Forderung gen Himmel, um dann wieder in die Tiefen des Abgrunds zu tauchen.

Er wusste nicht, wie viel Zeit verstrich.

Wir wissen nicht, wie viel Zeit verstreicht.

Doch wenigst fühlte er wie er schwächer und schwächer wurde. Und sein Arm konnte das Schwert nicht mehr halten. Ab warf er den Helm und schlohweißes Haupthaar begleitete diesen Fall. Nun kroch er mehr, als er schritt. Er suchte den Eingang zu finden, nochmals. Er war weiterhin gewahr der Knochenberge ringsum.

Und wieder erreichend den Höhleneingang sank er nieder und richtete den Blick auf die Weite des Sees. Mit einem Schlag, das heißt viel zu spät, verstand er nun, dass es niemals einen Drachen gegeben hatte, sondern nur die Schickung seiner Vorväter und –mütter unter der Belagerung des Worts „Die Rache ist mein“. Er sank nieder im Schutt seiner Umgebung. Müdigkeit nahm ihn nun ein. Als ob der bodenlose Schlaf die Rettung wäre vor dem Entsetzen der Traumtage!

Bewahret einander vor Herzeleid,
denn kurz ist die Zeit die Ihr zusammen seid.

„Nach diesem Lächeln in seinem Gesicht zu urteilen, ist er glücklich gestorben.“
„Das ist kein Lächeln. Das ist ein Rictus. Eine Menge Leute, die nicht glücklich sterben, grinsen so.“

Möge dies Grinsen Anzeichen gewesen sein für die Einsicht, dass es niemals einen Drachen gegeben haben wird. Im Himmel ist alles Gewicht der Welt; auf Erden ist aller Schmerz der Welt.

Und sterbend wandelte sich das Antlitz des Kriegers zum ungekannten Gesicht. Was uns zu sehen bleibt, sind die Haufen blanker Knochen, in jenes unendlich matte Weiß getaucht, mit dem ein nie enden wollender Wind sie versehen hatte. Von der Zeltstadt her brüllt Zimbel, Flöte, Muschelhorn und das große Becken. Die Stimmen der jungen Mädchen dröhnen verächtlich in ihrem Gesang. Die Weisen kreischen ihre Gebete. Der Fürst reibt geduldig seine Hände. Die Prinzen bereiten sich vor. So wie sie es alle schon tausend Kalpas zuvor getan.

Die weiße Verzweiflung, nicht aus dieser Welt fallen zu können.

Andreas L. Hofbauer, Märchen