Nicht Haltung annehmen. Haltungen produzieren!

Hier wissen wir zu leben . . . und du würdest meinen Arsch zumindest sieben Male küssen, wenn ich dir sagte, wie über alle Maßen ich glücklich bin zu leben
und dies Leben hier zu führen.
(Francisco de Goya, Brief an Martìn Zapater vom 19. Februar 1785)

Haltungsschäden sind verbreitet und werden zur Zeit gerne als Zivilisationskrankheiten definiert. Ursachen werden in allzu verfettender Nahrungsaufnahme schon bei Heranwachsenden und Jugendlichen und Bewegungsmangel derselben gesucht und gefunden. Der Ruf nach Rolfing und chinesischer Chiropraktik wird zwar zuweilen laut, freilich kann ihm aber auf Grund der notorisch leeren Staatskassen nicht flächendeckend gehorcht werden. Offensichtlich sind nicht allein die Nervenkostüme fragil geworden, sondern auch die basalen Trageeinheiten durch schleichende Osteoporose angegriffen.

Dass hier aber vielleicht eine grundsätzliche Verwechslung von Ursache und Wirkung vorliegt mag im Folgenden – vielleicht etwas gewagt anmutend – herausgestellt werden. Selten nur wird Haltung als biopsychophysischer Komplex gesehen, der auch Mensch und Artefakt ebenso wie Tier und Naturhervorbringung durchformt. Halten wir uns bei den beiden erstgenannten auf, so muss man schnell feststellen, dass es, abgesehen von den aller Orten anzutreffenden Attitüden-Korsettagen, selten geworden ist, auf ein starkes Kreuz zu treffen, da selbiges den meisten offenbar schon früh gebrochen ward.

Nun haben wir es mit Niko Sturm zweifellos mit einem jungen Maler und Mann zu tun, der sich persönlich durch Vielerlei auszeichnet. Etwa: Kraft, mutige Lebensfreude und -lust, unbedingter Wille zur Umsetzung, keine Scheu vor Konterattacken, strikte Diesseitigkeit ohne Hang zur Camouflage der Verklärung, grimmiger Humor. Kurz gesagt: nötiges Rüstzeug für einen Maler. Da hier nun aber keine individuellen Haltungsnoten vergeben werden, muss an dieser Stelle der Blick auch auf etwas gewendet werden, was ich die Haltung der Bilder nennen möchte. Eine solche verzeichnet nicht zuletzt das Grimmsche Wörterbuch, wenn auf die kompositorische Verteilung von Licht und Schatten, Tiefe und Oberfläche usw. eines Bildes verwiesen wird. Was hier aber noch ganz im Rahmen einseitiger Rezeptionsästhetik verhängt ist, ist wenigst um eine weitere Facette zu erweitern. Die Produktion oder den Austausch im Produktionsprozeß. Stehen sich Produzent und Produziertes nicht gegenüber, sondern durchdringen einander, dann gibt es allerdings auch kein Quidproquo von Aus- und Eindruck. Malakt und Lebensform ergänzen einander nicht, sondern sind die beiden Seiten einer Medaille, die sich stetig neu prägen. Eine solche Prägung muss über einen speziellen virtus verfügen, der in keiner Weise im Sinne von Gehalt zu messen oder zu refundieren ist. Dies verlangt nach einer gewissen Rückhaltlosigkeit oder Verausgabung, die das Anhalten nur als (notwendige) Etappe kennt, ehe die nächste Produktion in Angriff genommen wird. Haltung läuft deshalb kurioser Weise darauf hinaus, nicht aus einer feststehenden Position ein Objekt zu betrachten oder zu taxieren, sondern sich von diesem auch selbst angreifen zu lassen. Der Bildkörper ist ein Produktions-Halt in diesem Vorgang, der immerhin dem Körperbild den Rücken stärkt. Man könnte derartiges Herangehen auch starke Seismografie nennen, die den auf beiden Seiten heraufdrängenden Narzißmus nicht allein Paroli bietet, sondern doppelseitiger A-Narzißmus ist.

Doch, wie schon Kippenberger/Oehlen früh bemerkten, hat man es nicht leicht und selten wird einem etwas leichter gemacht.

Sämtliche Ober
zu mir
alle Banken
voller
Gier
und dann
will mein Bruder
mir nicht aufmachen die Tür,
weil er sagt, ich soll den
Schlüssel benutzen.(1)

Was auch zeigt, dass es nicht immer leicht fällt, Haltung auch zu bewahren.

Die Haltung der Bilder ist unabtrennbar mit der Haltung des Künstlers verschmolzen. Es findet ein wechselseitiges Ein- und Entströmen statt, dass sich in kristallinen Momenten – was an und für sich Bilder und Lebenshaltungen auch sind – nicht als vereist erweist, sondern als Wachstum. Was im Sturm zu gären pflegte, wird schließlich als Wein kredenzt; und nicht von ungefähr bedeutet haltig in der Bergmannsprache Erz führend. Dabei wird nicht einfach abgebaut und von Hier nach Dort transportiert, sondern der Prozeß wird zum Schmelztigel oder Krater , der aus einfachem, alltäglichem und abfälligem Material – allchymisch beinah’ –sein „Gold“ legiert. Und in diesem Glanze will und soll man auch ein Leben führen.

Und außerdem: Alle entscheidenden Türen stehen zumeist offen!

(1) Martin Kippenberger/Albert Oehlen, Gedichte (Teil 1), Berlin 1984

Andreas L. Hofbauer for Niko Sturm (exhibition Mercator foundation, Ljubljana 2004)