Culpable // reus

Contrary to what is said, there is no truth about the real, given that the real is outlined as excluding meaning. It would nonetheless be too much to say that there is the real, because to say this is to suppose a meaning. The term real itself has a meaning, and I myself have played at one time with evoking the echo of the word reus, which in Latin means culpable – one is more or less culpable of the real. This is why psychoanalysis is something serious, and it is not absurd to say that it could slip into becoming a swindle. (Jacques Lacan)

” A—–! And what is that?”

” A —- is what Proclus, in a little note to his third book on the theology of Plato, defines as —- —–”

The Confidence-Man. His Masquerade (1923) — London, Bombay and Sydney 1923, p. 256.

Epitaphios logos

Heute mussten wir loslassen, was von unserem Freund und Wegbegleiter blieb. Möge sein Andenken ein Segen sein und sprechen weiter zu uns, immerdar …

14. Dezember 2023

Liebe Jeanette! Liebe Tara! Ihr, die ihr klagt und trauert …

Ivan ist umgezogen. Ich möchte deshalb den Anfang eines Gedichts von ihm lesen, das Teil einer bislang unveröffentlichten Sammlung ist, der er den Titel „komoi“ gegeben hätte. Der kómos ist ekstatischer Umzug der frühen Antike, Gesang tonaler und trunkener Begeisterung, der hier seinen Ausdruck im lyrischen Gedicht gewinnt. Älter als die Dionysien sind die komoi, älter als das Drama, als das Theater selbst.

Im Grunde war Ivans Werk immer dies: Umzüge, die in die Aufzüge des Schauspiels einzogen, die die Strophen und Gegenstrophen, ja die Katastrophen der Schrift, durchzogen, auf der Filmleinwand ihre Runden drehten, den Verhängnissen der Masken und Figurationen in Unzeit folgten. Gespannte und zugleich zerbrechliche Verdichtungen, Pfeile aus Blei in die Herzen der Mythen und die Schächte der Geschichte.

Sie haben die Bleibe (sei es das Freudenhaus oder das Gelage, die Erde oder den Himmel) hinter sich gelassen, verzweifeln und verlieren sich im Taumel einer Weglosigkeit; entwegt ziehen sie fort von, entziehen sich, verwegen sogar, unverfroren zuweilen, Grund oder Heimstatt. Stattdessen zeigen und weisen sie – Zug um Zug, Silbe für Silbe – wovon sie ausgegangen waren.

Pegasos, den Bellerophontes zähmte, lebte unter den Musen, nachdem er dem Hals der erschlagenen Gorgo entsprungen war. Bellerophontes, der Exilant, Enkel des Sisyphos, selbst göttlichen Geblüts, ward von ihm abgeworfen (kata-, hinunter, hinein, gegen den Strich des Laufs), auf und in die Ebene Aleion in Kleinasien, wo er später wanderte an den Ufern schwarzer Meeresstrände und in den Zerklüftungen des Gebirgs. 

Von dorther klingt, weithin nach und um und um, anfangslos sein wilder Sang.

Ivan Stanev

Bellerophontes

(komos)

CHORO CHOROS

KATACHTHONIOS

Es lebe der Tod!

REIGE REIGE RE

Sein Perfekt ist auferstanden!

TANZE TANZE TE

Des Todes perfektes Perfekt

auf versteinerter Flucht.

FLÜCHTE FLÜCHTE STE

Wie gewesen wir waren.

WAREN WAHR

Wie der Lindwurm der vergangenen Zeit

SOS GASSOS PEGASOS

Ein Wurm aus künstlichem Leder,

ferngesteuert von untergegangener

göttlicher Hand.

CHANDA CHA

Eine wortkarge Wortbildung,

die unsere Zukunft aufgefressen.

SENE SE

Der Lindwurm, er frißt

seine Kinder.

FRIST GEFRISSTE STE

SCHÖPF ERSCHÖPFISTE

Der Lindwurm,

er frißt wie die Sanduhr

das Sandkorn des Planeten.

Der Lindwurm,

TURMISTE TURM

er frißt den Lindwurm

der Zeit.

ZUR ZUZI ZWAR

WAR ZUZI DAR

Unter himmlischer Haut

HAUTDÜNN HAUTDÜNN

wo die Sonne der Eiterherd

FEUERGRÜN FEUERGRÜN

PHALLOS REX LAVA EJAKULIERT

VAGINA MATER MAGMA MENSTRUIERT

ANUS DEI BIMSSTEIN FÄKALISIERT

BELLEROPHONTES AUF DEM FLÜGELROSS

ROSS PEGASOS

REBELLIERT NOCH VERLIERT

SONNE NE

VERLIERT NOCH REGENERIERT

ERDE DE

Wir waren vergangen,

wir wurden geworden.

Wie gekaut die Zeit

unsere Jahre

JACHRE CHE JA

mit gewesenem, falschem

Gebiß BISI BISS.

Wir wie du BELL BELLE

RO RO PHONTES

Mann mein, Sohn mein,

Eltern der Eltern,

Ahnen der Vorfahren

waren wie Erdsaft

in UNSER UNS,

Pflanzen in Pflanzen

verpflanzt.

Wie ich geküßt

USSTA USST

mit Worten dein junges,

altes Gesicht

mit dem uralten Anteil

an meinem Verlust,

Vater mein, Tochter

wie Mutter, Gelübde.

LÜBDE LÜBDE LE

Du, weiblich, mit

meiner rechten,

männlichen Hälfte

HÄLFTE CHE

ich, männlich, mit

deiner rechten,

weiblichen Hälfte

RECHTE RE

du, die Mutter

im Vater,

senkrecht geteilt

von der Hälfte

der Tochter,

ich, die Gelübde

der Tochter,

ergänzt ab der Achse

vom Körper der Mutter

SAFT IN SAFT

FREUND IN SCHAFT

Ach, wie waren wir

wurden geworden

WORDENDE GEWORD

WÄHRENDE GEMORD

Choro Choros,

Bellerophontele,

Choro Choros,

ROSS PEGASOS,

Choro Choros,

Stheneboia,

und ein Lindwurm

dazwischen ZWISCHT

im Spagat über der

Fuge der Zeit.

CHI CHI CHOROS

WAIRA CHIMAIRA

wie fliegen wir flogen

FLOGIFLOG

GÖLOFOG

und im Fluge SOG,

wie ich küsse geküßt

dich wie du mich

MICHMIDICH

wie SUCHTI sucht

nie gesehene

Sehnsucht,

Verjährung verliebt in

Versöhnung, verlobt mit

Verwesung, WES GE,

und geschah das Geschehen.

Wie im Grab wir

das geronnene Wasser

aus zerbrochenem Glas

sammeln in

Kreislaufschalen

und trinken getrunken

GURLJUGU

GULGULDU

Ich will dich

gesehen wie früher

so schön, meine Liebe,

LIEBER MEIN

daß ich totfiel

voll leidenschaftlichem Absturz

Eine Fledermaus wie du,

schwanger mit mir,

dem fliegenden Maulwurf,

so vorsah das Versehen

und den Lindwurm gebar

der verschollenen Jahre

CHIMAIRA RA

ARCHIWAIRA RA

MENSCH GEBOREN WURDE

IN DEN TOD HINEIN

IN DEN TOD HINEIN

OHNE TOT ZU SEIN

LIEBER MEIN LIEBER MEIN

NICHT GEBOREN

NICHTS VERLOREN

MENSCHLEIN MENSCHELE

MENSCHEL STERBELE

Wie alles wir waren,

wie alles wir wollten,

wollten noch strebten

AN wann wie dann

nicht mehr da waren,

nichts waren noch wollten,

DA DA NA

NA DA NA

Bellerophontele

auf dem Flügelross,

aus Gold sein Rumpf,

jeder Fittich

ein Seidenstrumpf,

sein Kopf aus Elfenbein,

sein Herz aus Edelstein,

sein Huf wie Turm aus Horn,

sein Auge wie Blitz aus Hohn,

AI AI AI

GÖTTERSTÜRMEREI

wie schrecklich schön,

REIGE RAI

wie tödlich frei,

KEIN GOTT MEHR DA

IM HIMMEL NA

CHACHA CHACHA

EIN WURM

WIE DU

IM STURM

ANFLUG AUF DEN

UNTERGANG, Bell Bellerophon,

Sonnenkern aus Ohrenschmalz,

Erdreich Knolle aus Dasein,

Dasein, das gewesen,

Wurzelhaare des Verwesens.

Scheitert jede Laufbahn

HIN DAHIN

am Ziel vor dem Beginn,

Bell Bellerophon,

wo das Ziel

vor dem Beginn?

[…]

Psyche // Lepidoptera

Before I sink into the big sleep I want to hear the scream of the butterfly … We’re gettin’ tired of hangin’ around, waitin’ around with our heads to the ground, I hear a very gentle sound … Come today, come today.

Ersatzkaffeesatzlesen

In einer Welt, die reale Vermögens- und Materialwerte in Finanzinstrumente „verpackt“, vermittelt oder jene durch diese strategisch ersetzt, ist es keineswegs so, dass die Vermögen und Stoffe dieselben bleiben, die sie immer schon waren. 

Diaphanes nr. 11 – spring/summer 2023 on Matrices porteuses – Surrogacies out now! Get your copy here: Diaphanes Mag. 11 // Surrogacies

Erlösung durch Architektur // Aus

Aus der Leere tritt der Erlöser wieder ein in die Welt. Die Welt ist das Hinterzimmer einer Bar, in der The Man das Sagen hat. Ein Crumpy White Male, den nur seine besten Freunde Ari Man nennen. Wie ein Gespenst, oder besser wie eine villain in the night, steht Erlöser plötzlich mitten im Raum und entlädt das Magazin einer CZ 75 9mm Luger (also sechzehn Projektile) in den Wanst dieses Früchtens dieser Welt. Ligit! The Man röchelt, hat aber noch die Kraft, sich den kurzen Monolog des Erlösers anzuhören.

(aus: Die alten Filme; KW Berlin. Friendly Fire & Forget)

Ruin // The Household Wreck

Out now: Ruin von Thomas De Quincey (Friedenauer Presse, Berlin 2022), herausgegeben, übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Andreas L. Hofbauer.

Get your copy at Matthes & Seitz Berlin!

Reading in the Rearview Mirror

Es ist ein Kreuz mit den Wortankern. Mit ihren Bestandteilen. Roring, Stock, Schaft, Kreuz, Arme, Flunken … allein beim einfachen Stockanker. Anchors hex. Get your copy here: https://zeitschrift-fuer.de/ oder im ausgewählten Buchhandel.

One more filmy than the rest

Dim vales – and shadowy floods –

And cloudy-looking woods,

Whose forms we can’t discover

For the tears that drip all over

Huge moons there wax and wane –

Again – again – again …

(E. A. Poe)

Film stills by Katharina Copony

New website : http://www.andreashofbauer.eu/de/

… thus snapping the chain –

Die Erschöpfung und das Aufhören, das Enden, verschreibt sich einer Insistenz, die sich weder auf eine Transzendenz stimmt, noch den schmerzhaften Aufbruch verleugnet. Sie geht, zuweilen starr, ohne sich im geringsten zu rühren, weg. Solch aufbrechendes Gehen bricht auch zum verlorengegangenen Kind auf … Merkwürdig mutet so der Brief an, den Herman Melville seiner Tochter Bessie vom Pazifischen Ozean aus am 2. September 1860 zukommen lässt. “Diese Vögel haben kein Zuhause, außer einigen wüsten Felsen mitten im Ozean. Sie sehen niemals einen Obstgarten, und kennen den Geschmack von Äpfeln und Kirschen nicht, wie dein kleiner Freund in Pittsfield, Herr Robin Rotkehlchen … Ich hoffe, dass du gut auf Klein Fanny aufpaßt, und daß du, wenn du den Hügel hinaufgehst, so gehst, [hier folgt eine kleine Zeichnung Melvilles, die einen Baum und etwas Gesträuch zeigt, sowie zwei beinah winzige Gestalten, die sich an der Hand halten]  Leb wohl – Papa.” So, als ob es doch möglich sei, die Faust in die flache Hand zu entfalten, wie Johann Georg Hamann dies gefordert hat, und sich die Hände zu reichen. So, als ob es vielleicht den Aufbruch des Vergessens nach nichts mehr verlangte, als eben nach dieser einfachen, singulären und einfältigen Handreichung, das Wagnis dieser unwahrscheinlichen Berührung, die weder führen noch hüten will.

ALH, “… thus snapping the chain – ” in: Gerburg Treusch-Dieter (Hg.), Schuld, Tübingen 1999

2009, a slyly moment

Überall ziehen die Menschen ihre Uhren auf, um den Schwebezustand hinauszuschieben, der sie einzuholen droht. (Walter Abish, Schaltschemen)

Some sort of Sortes Abishianae. Commemorate lyrics, laugh upon my sleeve. It was the year 2009. In front of a major work of art by Andreas Templin.

I am the Resurrection

A little Easter greeting to you. The late Sebastian Horsley with a copy of my translation of his Dandy in the Underworld. It was published by Blumenbar in 2009. You can spend your short time astride the pit in all kinds of ways … if you have courage and joy in you, you can also pick up the book!

sh6

Bookdesign by Chrish Klose

La Castiglione is Alive!

 

La Castiglione visits Berlin! UA von Place Fantôme am 26. Mai 2018. (R: Ivan Stanev, La Castiglione: Jeanette Spassova)

Das Symposium La plus belle femme du siècle. Multispektrale Bildgebungen findet am 27. Mai 2018 statt.

Es erscheint ein Katalog!

Die Schädel toter Ahnen, die man einstmals in offenen oder versteckten, dunkeln oder hellen Kammern aufgestellt hat, damit sie den Mitgliedern der Gemeinschaft schweigsam Gesellschaft leisten konnten, wandelten sich zu Masken, polierten Grabsteinen, Fotoalben, Videobotschaften, die kurz vor dem Ableben aufgezeichnet werden, und Social-Media-Accounts, die ihrer Wiederauferstehung nach dem Ende des Internets harren. Die mannigfaltigen Seelen haben sich entfernt, sich aber nicht verschlucken lassen.” (aus: Entfernte Seelen by ALH, in: Place Fantôme, Berlin/Paris 2018)  
 
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A beam of light

 

 

“Looking at that blank paper continually dropping, dropping, dropping, my mind ran on in wonderings of those strange uses to which those thousand sheets eventually would be put. All sorts of writings would be writ on those now vacant things – sermons, lawyers’ briefs, physicians’ prescriptions, love-letters, marriage certificates, bills of divorce, registers of births, death-warrants, and so on, without end. Then, recurring back to them as they here lay all blank, I could not but bethink me of that celebrated comparison of John Locke, who, in demonstration of his theory that man had no innate ideas, compared the human mind at birth to a sheet of blank paper; something destined to be scribbled on, but what sort of characters no soul might tell.” (H.M., The Paradise of Bachelors and the Tartarus of Maids, 1855)

The author at the graveside of the “big white male” and his next of kin. Woodlawn Cemetery in Bronx. (Pic by Marius Mittag)

 

 

 

 

Diplomaten und Konsuln … about the infirm state

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Konsul Geoffrey Firmin wusste um das Anagramm, das sich in seinem Nachnamen verbarg. Und er wusste, dass es Signum des Diplomaten ist. Bogdan Bogdanović Stelen in Travnik stehen vergessen. In Gruppen, zwei und zwei. Manche haben ihren Partner verloren, und er liegt gefällt und geschlagen, überwuchert vom Gras. Sie starren verängstigt und vielleicht auch drohend schreiend in die Weite des Landes. In beide Richtungen. Ein unhörbarer Schrei, der wohl auch der Schlange des Paradieses entfuhr, als sie begriff, dass es Mächtigeres gibt zwischen Gott und Gesetz und Verführung und Wille. Denn die Inschrift, die sie gleich den Sirenen am Horizont ablesen lautet: Et in Arcadia ego.

Die modale Spannung zwischen „Auch in Arkadien bin ich“ und „Auch ich war in Arkadien“ [„I, too, was in Arcadia“] reicht zur Verdeutlichung nicht aus, da man nicht bestimmt, auf wenn sich dieses Ich bezieht.

Ich nun betone hier und versehe mit Stimme, was sich da abzeichnet: „Selbst in Arkadien gibt es mich“ – den Tod. [„Even in Arcadia, there (am) I“ – Death].

Im September muss man lange suchen, bis man die Schlangen-Köpfe oben findet, denn der Mais der Felder beschützt sie. Im Winter, wenn das Land kahl ist, ist der Weg zu ihnen wohl klarer zu sehen. Doch gewiss versprechen sie zu keiner Jahreszeit Paradies oder Garten. Aber sie stehen tapfer in ihrem Leid. Und das ist tröstlich.

All Pics Katharina Copony

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