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Category: Literos
Sleep Twitch

“No. Not like this. – Like this!”
If all the matter down here is made out of the fabric of the dresses, the angels wore, when they were expelled from the highest heavens – then, alas!, the ek-stasis of love and death, their coincidence, should be our new paradise. When our passionate tongues rave and lick alongside the tucks, seams and stitchings, then this will be our desperate but nevertheless idolatrous and haughty attitude. Even when the last piece of fabric is our own skin – or the dust of our bones. Our dreams are boundless, we are “ein Stück in Tüchern” (Rainer Maria Rilke)
Andreas L. Hofbauer on the erotics of touching fabric. A screen shot from the excellent Dellamorte Dellamore by Michele Soavi (1994)
Comfort & Critique

Chris Campion, Hartmut Fischer and Andreas L. Hofbauer organized a reading of Peter Sotos in Berlin at BASSO for Juliettes Literatursalon and atelier asphyxia
Seide wird zerrissen, um sie besser verstehen zu können

Ca. 20’ Laufzeit. Loop. 2 Schauspieler. Eine Frau. Ein Mann. Frau: ca. 30 Jahre alt. Trägt ein historisches Kleid. Helle Farbe. Wirkt ein wenig wie ein Kittel (jedoch ohne Anklänge an Upperclass oder Heilanstaltsinsassin). In der Mitte durch Mieder versteift. Mann: ca. 50 Jahre. Neutral gekleidet. Nicht historisch. Möglicherweise gedeckter schwarzer Anzug. Raum: Trägt der Idee “Falte” Rechnung, indem er mit Mollton (weiß) ausgekleidet ist.
Der gesprochene Text bleibt möglichst nah am Original. Interaktion zwischen den beiden Figuren ist zumeist nur gestisch und figuriert sich entlang des Textmaterials. Die Frau spricht zuweilen in der dritten Person über sich, so als ob sie über eine Freundin oder eine ihr bekannte Person spräche. Die Konversation und die Reden bleiben gespenstisch. Vagheit herrscht vor. Keine Kommunikation im eigentlichen Sinne.
[Großaufnahme; Gesicht des Mannes frontal; während er spricht, fährt die Kamera zurück]
Mann:
Ich saß auf dem Stuhl nicht wie gewöhnlich, sondern rittlings, und der Sitz war mit Samt überzogen. Da mir die Empfindungen angenehm waren, habe ich es noch einmal gemacht; aber niemals hatte ich von dergleichen reden hören. Der Gebrauch des Fingers ist erst später gekommen.
[Frau; nun neben dem Mann im Profil]
Ich habe geheiratet, um ein schönes Kleid aus schwarzer Seide zu haben, das aufrecht steht. Nach meiner Heirat zog ich noch Puppen an; das tue ich noch immer gern. Die Seide hat ein Rauschen, ein Zirpen, das mich kommen lässt. Schon das Wort Seide sagen hören, oder sich die Seide im Gedanken vorstellen genügt, um eine Erektion der Sexualorgane hervorzurufen. Der vollständige Orgasmus stellt sich bei der Berührung und vor allem bei der Reibung der Seide an dieser Region ein. Jeden Tag gab ich mich der Masturbation hin. Die normalen sexuellen Beziehungen verschaffen mir keinen Genuss.
In den großen Warenhäusern habe ich oft gestohlen. Mein Strafregister verzeichnet 26 Verurteilungen. Einmal wegen Entwendung eines Seidenkleides, das ich nach dem Diebstahl zusammengerollt und unter dem Rock zwischen meine Schenkel gesteckt habe. Eines Tages trat ich in ein großes Warenhaus ein, getrieben wie von einem Zwang. … In der Seidenabteilung faszinierte mich ein Kleid aus heller blauer Seide, es stand aufrecht. Eine Seide, die nicht steif steht, sagt mir nichts. Darauf war Spitze. Ich habe dieses Kinderkleid genommen, habe es unter meinem Rock verschwinden lassen, in einer großen Tasche mit einem Zipfel habe ich das Kleid genommen und damit masturbiert, mitten im Geschäft, beim Aufzug, dann im Aufzug, wo ich am meisten Genuss hatte. In diesen Momenten schwillt mein Kopf, mein Gesicht wird karmesinrot, die Schläfen schlagen, nur so kann ich genießen. Danach nehme ich den Gegenstand oder lasse ihn. Als man mich überraschte, warf ich ihn weg. Ich habe ihm sogar einen Fußtritt versetzt. Masturbation allein macht mir kein großes Vergnügen, aber ich vervollständige sie, indem ich an das Schillern und das Rauschen der Seide denke. Manchmal, wenn ich mit der Seide masturbiere, habe ich sogar an Männer gedacht. Auch wenn mir der Mann nichts macht.
Ich liebe die Seide, die ganz allein steht.
Excerpt of a screenplay, written together with Theo Ligthart for a Video-Installation (not executed yet) on Gaetan Gatian de Clérambault and the erotics of touching fabrics. We used original lines (translated by Walter Seitter) put on the record by female inmates of the police asylum, in which Clérambault used to work in Paris.
Ensembles und Module
Ekstasen kann man am besten mit einem Ensemble begreifbar machen. Denken Sie zum Beispiel an Phantasien. Niemals kann eine Beschreibung allein ersetzen, was ein Ensemble entstehen lässt und zugleich dem Untergang preisgibt: Übersicht, Details und Proportionen in bloß einem Akt.
So dienen Ensembles nicht allein der Veranschaulichung, sondern vielmehr der Analyse, dem Verfall und dem Genuss. Varianten erstellen, vergleichen und genießen; Ursache und Wirkung zelebrieren – Prinzipien, an denen die Ekstasen weiterentwickelt werden, reifen und wieder verloren gehen.
Die Ekstase sexueller Ensembles. Mit ihnen werden Strategien und Konzpte anschaulich und überzeugend umgesetzt: Spielwiesen für außermoralische Hedonisten; nichts für offiziöse Kulturpolitik und Integrationspropaganda samt deren Aufsichtsgremien.
Unsere Ensemblemodelle sind Instrumente. Nutzt sie!
In Form lustvoller Dienstleistung übernehmen wir Aufbau und Einsatz von Ensemblemodellen, unterstützen die Zusammenstellung der Informationen und Prämissen und tragen zur Planung, Bewertung und den damit verbundenen Diversifikationen bei.
Juliettes ist eine von uns erstellte Software mit der Ensemble-Modelle für unterschiedliche Projekte selbst entwickelt und eingesetzt werden können. Wir impfen die Hardware mit einer umfangreichen Download-Bibliothek. Wir verabreichen euch die Medizin, schenken euch die Module, die ihr selbst einsetzen und weiterentwickeln könnt.
Perverser Kamerad – geh Du voran …

Diana Dart, Heinrich Dubel and Andreas L. Hofbauer perform a puppet show at Juliettes Literatursalon in Berlin 2002. It was reading # VXXVII in the course of the Marquis de Sade Lesemaschine.
(Photo: Manfred Reuter)
Nicht versäumen: Pandrogyn!
Wie wohl wäre mir, könnte ich etwas
sein, das weder Frau noch Mann wäre. Gäbe es das,
würde ich sogleich darin wohnen möchten.
(Unica Zürn)
Füttert man die Internetsuchmaschine Google mit dem Wort pandrogyn, so taucht sofort die Frage „Meinten Sie: androgyn?“ auf. Nun – nein, meinten wir nicht!
Die (englische) Wortschöpfung pandrogyne geht auf die Avantgarde- und Underground-Ikone, der Erfinder des Industrial, Musiker (Throbbing Gristle, Psychic TV), Performer und Autor Genesis P-Orridge und seine Lebensgefährtin Lady Jaye (die sich als eine Art Personalunion verstehen und unter ihrem gemeinsamen Namen Breyer P-Orridge leben und arbeiten) zurück. Ein solches pandrogyn ergänzt nicht allein eine Zweigeschlechtlichkeit und Zweideutigkeit (ausgehend von den beiden Stammsilben andr-/gyn-) um einen Buchstaben, sondern erweitert diese in Richtung eines All-Zusammenhangs, der sich von seiner binären Ausgangsidee verabschiedet. Dies wird allerdings nur durch eine altbekannte Fehlableitung möglich. Schon der antike Stoizismus hatte das griechische to pan als das All übersetzt und im logos pan menyon das alles Anzeigende ausgemacht. Dürfte die etymologisch korrekte Herleitung zwar vom mykenischen aiki-pata (Hirt/weiden) herrühren, so wollen wir uns dennoch getrost von einem creative misreading leiten lassen. Darüber hinaus handelt es sich bei pandrogyn und Stoff/Textil – von Letzterem werden wir gleich sehen, dass es die entscheidende Aufzeichnungsfläche unserer Unternehmung ist – ohnehin nicht um Begriffe. Doch spielt hier das Fehlen von Begriffsdefinitionen keinerlei Rolle, gilt doch ganz allgemein: „Wir sind unfähig, die Begriffe, die wir gebrauchen, klar zu umschreiben; nicht, weil wir ihre wirkliche Definition nicht wissen, sondern weil sie keine wirkliche ,Definition‘ haben. Die Annahme, daß sie eine solche Definition haben müssen, wäre wie die Annahme, daß ballspielende Kinder grundsätzlich nach strengen Regeln spielen.“ (Ludwig Wittgenstein)
Jenseits der mittlerweile gut eingespielten, etablierten und mit zahlreichen Meriten versehenen Gender Studies, den Verhandlungen der Geschlechterdifferenz und einem zu Weilen fröhlichen gender blending liegt, sozusagen als unbestellte und verwilderte Zone im sorgfältig kartierten Feld des Sexuellen, die Region erogener Körper. Sie sind nicht auf die Umrisse der Anatomie reduzierbar, auf die Fassungen der Biologie beschränkt oder kulturell durchgeformt. Vielmehr wird von ihnen her das ganze bislang vertraute Schema, was ein Körper sei, worin sein Erotismus bestünde und was er zu schaffen vermöchte ungewiss. Erst eine – durch eine lange Kette (etwa von Spinoza über Freud bis hin zu Butler oder Preciado) von Untersuchungen nachgewiesene – Besetzung und Produktion von Zonen körperlicher Erogenität ist dafür verantwortlich, dass und wie sich sexuelle Körper überhaupt aus- und umformen. Ihr Geschlecht ist vorerst demnach weder eins noch zwei. Sexuelle Körper werden erst über ein komplexes Signifizierungsgeflecht von Narzissmus, Alterität und passionierter Inanspruchnahme hervorgebracht. In diesem Zusammenhang also bezieht sich pandrogyn weniger auf das sexuelle oder kulturelle Geschlecht und seine Konstruktion und Repräsentation, Differenz oder Austauschbarkeit, sondern auf die Stofflichkeit erogener Formationen. Da Lust nicht vorrangig über die Funktionen des Geschlechtsapparats gesucht und gefunden wird, operiert sie vielgestaltig und merkwürdig in und an Körpern, die „Ensembles erogener Zonen“ (Serge Leclaire) sind; spiegelt sich in deren Oberflächen, durchlöchert sie, dringt in sie ein, wird von ihnen ausgestülpt, verbindet sich mit Auslagerungen anderer Körper usw. Pandrogyne Körper verstehen wir demnach als produktive Vernähungen und Verstrickungen von Phantasmen, Schnitten, Sprechakten, Gelenken, dem Denken, obsessiven Besetzungen etc., die den Ausbildungen von Körperbildern und Identifizierungen vorausgehen. Sie sind chiasmatisch (χ) und ausgefranst. Unregelmäßige Umschläge von CHI und ICH.
Pandrogyne Körper beschränken sich keineswegs auf menschliche Körper. Sie entstehen auch aus verschiedenartigen Mischverhältnissen mit nicht-menschlichen und so genannten unbelebten Gegenständen und sind folglich Kompositkörper. Weichen sie auch weitgehend den Rastrierungen von gender und sex aus oder erweitern diese erheblich, so bedeutet das freilich nicht, dass diese Dimensionen nichts mit ihnen zu tun haben. In erster Linie aber sind pandrogyne Körper psychoplastische! Pandrogyn bringt folglich den Aspekt der Plastizität ins Spiel, anstatt, wie gesagt, weiter den Ordnungen von Repräsentation, Mimesis und Rollenperformanz zu gehorchen, die unter der Herrschaft einer ideologisch erpressten Flexibilität stehen. Auch hinsichtlich des Aspekts einer gegenkulturellen Taktik sollte dabei nicht übersehen werden, dass eine solche Plastizität so manche Formen schafft und generiert, andere zugleich aber auch sprengt.
Ich bin der Stoff, der mich umhüllt. Dies ist auch ein Kurzschluss von Auto- und Panerotik. In der Wirklichkeit dieser Annahme ist das Pandrogyne mit dem Textilen verflickt. Man braucht daher gar nicht auf die esoterische Idee zurückgreifen, dass alle Materie Stoff des ehemaligen Kleides der aus dem höchsten Himmel gestoßenen Engel sei und die dem Menschen von Gott zugewiesene Arbeit darin bestünde, dieses Kleid wieder zu retten (Alchymie). Man erkennt auch ohne diese Erzählung leicht, dass die Leidenschaft am Stoff zwischen etwas Engelhaftem und dem Obszönen changiert. Die Einfalt des nackten Körpers und des reinen Geistes (die es recht eigentlich gar nicht geben kann) wird mit einer Vielzahl von verführerischen Implikationen geimpft, die von der Drapierung zur Hosennaht, von der Wand zum Gewand reichen. Und im Zuge dessen werden einige beliebte Fragen überflüssig, andere gewinnen an Kontur: Gibt es einen weiblichen Fetischismus? Warum nicht! Kann man ohne phantasmatische Stütze wahrnehmen? Natürlich nicht! …
Eine Politik der Geister und eine Politik der Körper sind bloß zwei Seiten derselben Münze. Die entscheidende Erweiterung liegt in den leidenschaftlichen (und zu Weilen obsessiven) Besetzungen von Fleisch – Textilie – Stoff (Schnitt – Naht – Oberfläche). Diese Verhältnisse kann man nicht auf die Schnelle einsacken, bei einer Semiotik der Mode innehalten oder begeistert im Funduskämmerchen der Kostümkunde stöbern. Vielmehr tastet man sich mehr oder weniger behutsam entlang von Säumen, Falten, Schlitzen vor. Keine Auseinandersetzung pandrogyner Körper kann solitär bleiben; sie ist immer eine Auseinandersetzung mit dem Anderen und anderen. Pandrogyn und Stoff sind Objekt und Subjekt ihres Genießens. Alles andere wäre ohnehin untragbar – oder unerträglich. Nicht von ungefähr gibt es bei den Weberinnen der Navahos den Brauch, keine Textilie gänzlich fertig zu weben oder mit einem umfassenden Saum zu versehen, sondern irgendwo im Gewebe eine Lücke offen zu halten.
Bei all dem hebt natürlich auch der Gott Pan – zum Abschluss soll dies noch einmal deutlich betont werden – sein Haupt. Der große Gott der Felder und Weiden, der vielleicht gar nicht so tot ist, wie es der Mythos beklagt. Auch seine Erscheinung ist eine pandrogyne und gekennzeichnet von einer faunischen Sinnlichkeit, die sich aber auch mit einer tiefen Fremdheit und Kälte gegen über allem, was ihn umgibt, paart. Sein Wesen ist durchaus auch eines des Sich-nicht-Verbindens. Seine Ek-stase ein Abgang von der Idolatrie des Menschengeschlechts. Damit beweist sich aber wiederum nur aufs Neue, dass das Gewirk von Schuss und Kette eine ebenso gegenstrebige Fügung ist, wie das Spiel von Bogen und Leier.
Ob die überschwängliche Begrüßung des Pandrogynen als „open source myth of creation“ (Breyer P-Orridge) gerechtfertigt ist, bleibt abzuwarten. Das Signum des pandrogynen Mythos wird jedoch gewiss S/He is Her/E lauten.
Andreas L. Hofbauer for Mein heimliches Auge XXII (2007/2008) Konkursbuch Verlag Tübingen

William Seabrook
William Seabrook – Dark and tantalized genius. A magical island in his own right.
Nach der Rückkehr von ihrer gemeinsamen Reise aus Timbuktu, die auch offiziell vom Musée Ethnographie du Trocadéro (dem heutigen Muséum National d’Histoire Naturelle / Musèe de l’Homme) unterstützt worden war, beschließt William Seabrook die Mitglieder desselben über seine Forschungsergebnisse zu unterrichten. Zu diesem Zweck lädt er mit Hilfe von Michel Leiris eine Gruppe von seriösen Wissenschaftlern dieser Institution, die er selbst als „ausgestopfte Hemden“ zu bezeichnen pflegt, zu einem Essen ins Restaurant Foyot. Vorher gibt es im Studio Seabrooks einen kleinen Umtrunk. In einer Ecke, abseits der bereitgestellten Cocktailgläser, dem Eiswürfelbehälter und dem Sodasyphon, unweit des Balkons, hängt an diesem Abend eine fast nackte Frau. Marjorie Worthington, später die zweite Frau Seabrooks und langjährige Weggefährtin, nennt sie Mimi, eine Prostituierte von Montparnass. Sie trägt nichts als einen Lederrock, den Seabrook aus Afrika mitgebracht hat. Ihre Handgelenke sind an eine Kette gefesselt, die von der Decke hängt. Ihre Zehen berühren kaum den Boden. (Also eine Art des Derwisch-Danglings.) All das wird nach kurzem Erstaunen zur Kenntnis genommen und der gepflegte Smalltalk geht weiter. Auch Michel Leiris, der sich etwas verspätet, ist wenig überrascht. Nach den Getränken begibt man sich zum Essen. Marjorie gibt Mimi einen stiff drink, räumt die Gläser ab und folgt nach. Es ist durchaus möglich, dass auch Man Ray an diesem Abend anwesend war. Er wird später einige Fotografien für Seabrook anfertigen. Und es ist durchaus möglich, dass Mimi niemand anderes war als seine spätere Geliebte Kiki de Montparnasse.
„Ein jedes Ding hat zwei Griffe; einen, mit dem man es trägt und einen, mit dem es nicht getragen werden kann.“ (Willliam Seabrook)
We are not here to entertain! (Gendertronics)
Das Brechen mit dem sogenannten Konsens der Wirklichkeit. Mit dem Müll des Imaginären, das immer auf’s Neue eine Realität herstellt, deren Solidität und Solidarität den Kitt gesellschaftlicher Gefüge repräsentiert. Die Dignität einer Armut, die sich von diesem Kitt nährt, ohne ihn zu verdauen oder zu rezyklieren. Kunst als artifizielles Exkrement, manifest und immanent in allen Körperflüssigkeiten, manifest und immanent in allen Wort- und Tonergüssen.
…
Der sexuellen Intoxitation ist der Vorzug vor der biochemischen zu geben.
Andreas L. Hofbauer on Genesis P-Orridge and Gendertronics
Kings of Hearts (german and english)
Unweit der neonerleuchteten Boulevards spielen im Turmzimmer die jungen Könige ihre Karten. Sie spielen mit der Gelassenheit, die an Wölfe zwischen den Jagdzeiten erinnert. In den Augen der Damen blitzt das Begehren.
Draußen im nächtlichen Garten schlägt engelsgleich der Vogel Pfau sein Rad. Seine heisere Stimme mahnt, dass Leidenschaft und Stolz ihre Geschichte, ihr Geheimnis und ihr Schicksal haben. Und so auch der Schmerz, den sie bereiten. Er hat unsere Körper markiert, ihre Oberflächen gezeichnet, wie die Nadel des Tätowierers die Haut oder das Blitzlicht kristallines Filmmaterial. Wir sind geworden, was uns umhüllt. Wir stehen im Leuchten der Pracht unserer eigenen Epiphanie. Skin deep.
Im Labyrinth der Heckenreihen zwingt man einander dann die Posen der Lust ab. Alchemie der Passion. Ohne dieser Dunkelheit – wie hätte ich jemals vermocht, deinen Stern zu sehen? Über unseren Häuptern thronen seit unvordenklichen Zeiten lächelnd die Moiren. Die drei Göttinnen, die da den Faden spinnen, ihn verweben und dann wieder durchtrennen.
Alles andere wäre auch unerträglich; oder wenigstens untragbar.
Not far from the neon lighted boulevards the young kings play their cards in the tower chamber. They play with a calmness, which reminds us of wolves between their hunting times. In the eyes of the ladies flashes desire.
Outside in the nightly gardens the peacock spins his wheel like an angel. His raucous voice admonishes that passion and pride have their history, their secrets and their destiny. So does the pain they inflict. It has marked our bodies and its surfaces, as the needle of the tattoo artist has the skin, or the flashlight the crystal film footage. We became, what embosoms us. We are illuminated by the grandeur of our own epiphany. Skin deep.
In the labyrinth of hedges one forces the other to the posturing of lust. Alchemy of passion. Without the darkness – how could I ever see your star? Above our heads the Moirae thrones smiling. The three goddesses, which spin the yarn, weave it and then cut it again.
Everything else would be unbearable, or at least un-wearable.
Andreas L. Hofbauer (2006) for Kings of Hearts and Philipp Roller. All design and artwork by Philipp Roller.
Villa dei Misteri
An irgendeinem Ende des vermeintlichen Rundgangs angekommen, schließt keine schüchterne junge Dame im Faltenrock verschwiegen und verschwörerisch das Gabinetto degli oggetti osceni auf – wie dies auch heute noch im Archäologischen Museum in Neapel geschieht –, sondern den Besucher (i. e.: uns) erwartet Miss Muerte(1), ein doppelgeschlechtlicher Engel der Geschichte eigener Façon. Nicht eröffnen sich dem Betrachter nun die Schatzkämmerlein luxuriöser Häuser (venerea) der Vergangenheit, die ihm noch einmal die In-Szene-Setzungen des Repertoires luxuriöser Ausschweifung vor Augen führen und nochmals die anregenden Stellungen des Liebesakts (figurae Veneris) kaleidoskopisch vorbeiziehen lassen. Miss Muerte ist weder Artefakt noch Mechanismus der Zukunft, sondern Dreh- und Angelpunkt einer Geschichte, die aufgehört hat, in den Kategorien von Historizität oder Zyklus (Vergehen und Werden) vermessen zu werden. Ihr Kameraauge weist sie als erste untote Erscheinung aus; als Schreib- und Leseapparatur, die unverzüglich die von ihr produzierten Bilder wieder in die Welt der Schatten übergehen lässt. Die Personage, die sich um ihr Auge herum versammelt, inmitten der obszönen Kulisse eines träumenden Gottes, ist illuster. Friedrich Nietzsche und Sarah Bernhardt, Isadora Duncan und Alexander Moissi, Marinetti und Oemichen, die Duse und Dionysos … sie zelebrieren ihr eigenes Über-Leben während einer letzten, großen und wahrhaften Orgie, die, wie alle Orgien, ihre scheppernde Nackt- und Bloßheit nicht verbirgt. Ihr Reigen ist kein bunter, sondern ein Requiem auf jede Beruhigung durch derlei Idee. Dort wo jeder stolz als sein eigener Unternehmer geendet hat, wurde auch jeder sein eigener Hampelmann. Die sogenannten Größen der Geschichte nicht ausgenommen. Die Phrasen und zitatorischen Querverweise auf ihre eigene Vergangenheit in ihrer wechselseitigen Anrede verweigern sich jeder Mit-Rede. Dadurch enttäuscht sich geglückt die Illusion einer friedfertig ausgehandelten Kommunikation, dort wo diese immer schon eine disziplinatorisch verordnete war. Und durchaus stolz stellt sich ein solches Zittern morscher Knochen (jener erhabenen und materiellen Reste, die, gleich den Schatten, Gäste sind die bleiben) gegen plumpe Expression vorgegaukelter Individualität und Entbundenheit, ohne aber aufzuhören, Freiheit einzumonieren. Nicht länger befriedigt jeder die Lust am anderen, sondern das Symptom des Anderen entlarvt sich als das, was es ist: gar nichts mit ihm zu schaffen zu haben.
Das Theater derart postdramatisch verwandelnd, die ganze Maschinerie des Theaterapparats erneut in Anschlag bringend, wird die Institution durch Prostitution ersetzt, ohne dieser zu gestatten, sich selbst wieder zu institutionalisieren. Ivan Stanev stellt in seiner Villa dei Misteri konsequent abzüglich in Rechnung, dass nicht allein Menschen Kartenhäuser bauen (und in ihnen leben), sondern dass sie selbst solche sind. Die fragile Konstruktion einer Bühnenarchitektur, die ihre eigene beständige Erosion nicht verschleiert, sondern exponiert. Ihr er- oder geträumter Einsturz ist einregistriert in eine Maschinerie, die ihr eigenes Zittern immer wieder zur Schau stellt, einen Spielraum preisgibt, der gegen die Eventualitäten des Zusammenbruchs nicht versichert, sondern ihn als ihr Fundament ausweist. Hier haben die Schatten Hunger, und die Gebeine keimen. Wo derart eine Aura verfliegt, stellt sich schnell heraus wie schwer es im Grunde zu begreifen fällt, dass es doch ein Alltägliches und Profanes gibt, das sich von der erlogenen Seinstotalität verabschiedet und ein neues Leben zu leben begonnen hat. Ihm gibt Stanev die Würde seiner Leichtigkeit und Stumpfheit, seiner Gebrechlichkeit und Schmerzlichkeit, seines Verlorengehens zurück. Und er tut dies, indem er seine Zuseher wie auch seine Figuren der Heimsuchung eines nicht enden wollenden Erwachens aus einem Traum aussetzt, um den wir alle nur zu gut wissen, wenig aber davon ahnen. Auch die pornai und Größen der Geschichte sind noch nicht erlöst aus ihrem Gefängnis des Kontext, doch dieses Mysterienspiel der Zeit vor der Phototapete der Fresken aus der Villa dei misteri heischt gar nicht nach Erlösung. Jenes Über-Leben ist nicht Schritt hinaus (weder Austritt ins Paradies noch Abtritt in die Auslöschung), sondern es erweist seine eigene Perspektive des Glücks.
Das Geraune einer Vielzahl, das sich nicht zu einer Stimme sammelt; das Geraune, das uns Schaudern macht, weil es zuweilen monoton oder schrill ist, wie die hängen gebliebene Nadel auf einer alten Schallplatte oder eine Polizeisirene in der Nacht. Ein Geraune aber auch, aus dem wir manchmal die vertrauten Akzente derer zu vernehmen glauben, die wir unsere „many thousand departed friends” (Edgar A. Poe, Shadow) heißen dürfen: Wie schwierig aber aufhören zu müssen den Nächsten zu lieben, damit man Freundschaft mit dem Fernsten schließen darf. Um Miß Muerte drehen sich die Schatten, die uns tonlos zuzurufen scheinen: „Bemerken Sie auch, daß ich kein Mitleid mit Ihnen habe, um sie zu rufen; und sie nicht schätze, um Sie zu erwarten … Indessen rufe ich Sie und erwarte Sie —” (Friedrich Nietzsche, Nachgelassene Fragmente). Ivan Stanevs Villa dei Misteri ist keine Beschwörung, sondern Ausdruck dessen, was nicht mehr oder weniger einfordert als: Sesam öffne sich, ich will hinaus. Ungewiss bleibt, ob er dies schon getan hat.
(1) So lautet auch der gleichnamige Titel eines Films des Sex-Thriller-Trash-Regisseurs Jess Franco (eigentlich: Jesus Franco), dessen eigener Name wiederum auf merkwürdige Weise den doppelt apokalyptischen (im Sinne einer Enthüllung der Wahrheit) Charakter von Ivan Stanevs Villa dei Misteri widerspiegelt.
Nähmaschine
Ein altes englisches Sprichwort lautet: „We are all Adams sons, silk oneley distinguisheth us.“ Wie bei aller Spruchweisheit mag einem Spruch und Weisheit wohl gefallen, doch auch hier harrt mehr im Verborgenen, als manchem recht und billig.
In den sinistren Träumen meiner Kindheit begegnete sie mir unzählige Male. Sie war eine stolze, große und grausame Göttin, die sich Ehrfurcht und Schrecken gebietend hochreckte vor der scheinbaren Unendlichkeit schwarzen Horizonts. Ihr augenloser metallischer Körper schien mir zuzulächeln, doch es war eher ein stählernes, dünnlippiges und vertikales Grinsen. Nicht die Perlen der Zahnreihen blitzten auf und entblößten sich, sondern nur ein einziger Stachel.
Weder war ich nackt, noch bekleidet. Ich war der Stoff, in den ich eingewoben. Ein Knoten oder eine Masche in einer sich unübersichtlich nach links und rechts, nach vorne und hinten ausbreitenden gefältelten Stoffbahn, die wer weiß wo aufruhte. Gebannt starrte ich (ja – ich hatte Augen um zu sehen, zweifellos, ich weiß nicht woher oder warum) auf das Schauspiel, welches nun anhob. Das Grinsen nickte mir zu. Ein Sog begann den Stoff und mich mit ihm vorwärts zu ziehen mit rasender Geschwindigkeit, geradewegs hinein in dieses Nicken. Ein Grinsen, das nickt. Schneller und schneller, auf und ab. Alles lief auf diesen einen Punkt zu, der ich sein sollte. Losmachen wollte ich mich, doch entkam ich nicht dem Verbund, in den ich eingeflochten. Der versteckte Transporteur kannte nur eine Richtung. Entsetzen und Erregung überschwemmten mich, als ich hingerissen meinem Ziel folgte. Immer, wenn ich es erreichte, erwachte ich.
Jedes Kleid (hyphasma / peplos) oder allgemeiner Gewebe (hyphos) wird aus einem gespannten, oder versteiften, vertikalen Faden (stemon / mitos) und einem horizontalen (kroke / rhodane) verfertigt. Die Worte für den vertikalen Faden sind Maskulina, die für den horizontalen Feminina. Das Verweben der beiden (symploke) wurde daher nicht erst bei Seneca mit dem Verkehr der Geschlechter identifiziert. Doch mitnichten handelt es sich um eine Form der Verbindlichkeitsherstellung (bond / Band). Vielmehr ist diese Verbindlichkeit bestenfalls eine diverse oder gar unmögliche. Leitet sich denn nicht selbst der kairos, der glückliche Augenblick, noch her vom Einschlag am Webstuhl? Vom dreieckigen Spalt beim Anhub der Kettfäden, ehe er vom Schussfaden durchschossen? Von der nur kurzfristig auftauchenden Öffnung, die vom Weberschiffchen gequert wird? Eine Lücke – aber eine, die der Öffnung im Panzer gleicht, die durch den Speer (tödlich) geschlossen wird.
Naht und Schnitt informieren das Gewebe. Der Stoff bleibt Traum, die Nadel seine Wahrheit.
In David Lynchs Inland Empire flüstert das Lost Girl Nikki Grace aka Susan Blue zu:
„Do you want to see?
…
You light a cigarette
You push and turn it right into the silk
You fold the silk over
And then you look through the hole.“
Und ein kleiner Junge trat ins Licht.
Andreas L. Hofbauer (2009); für Silvia Breitwiesers WEBWerk









