OFF-STIMME
Do I hear 21 21 21 ? … I give ya 21 21 21 …
FRANZ SCHUBERT
Die Zeit vergeht dem Pfeile nach. Nichts ist reversibel. Alles fügt sich lückenlos zwischen Trieb, Natur und Geschichte. Dieser andere Lebenskreis, ist er das Glück der Ferne? – Aber ich träume ihn doch nur, um mehr denn je zu erschrecken. Ich will nicht Aufwachen, das Erwachen ist der Tod, den ich wenigst’ einmal täglich zu sterben habe.
REV. JIM JONES
Jede Nacht die ich nicht schlafen kann ist White Night. Und zwar für alle. Man muss das einfach inszenieren. Damit verstanden wird, was da vorgeht. Ehe sie dann im wirklichen Leben gelyncht werden. Man muss sich vorbereiten.
FERDINAND MAXIMILIAN JOSEPH VON ÖSTERREICH
Das ist kein Psychodrama hier, verdammt noch mal!
OWEN CHASE
Ein gutes Schiff, ihre Novara. Vortrefflich! Sie brachte sie sicher von Miramar nach Miravalle. Landungsbrücke Endstation. Und dann wieder zurück mit der Leiche. Tegetthoff höchstpersönlich hat sie heimgebracht, mein lieber Max. Imposanter als unsere Essex allemal. Zuvor aber hat dies wunderbare Schiff schon das Blatt des Cocastrauchs nach Europa gebracht, wo es seiner chemischen Nutzbarmachung harrte.
FRANZ SCHUBERT
Die Novaragasse kenne ich. Führt sie nicht geradewegs zum schönen Praterstern in Wien? Meinem so heiß geliebten Wien? Aber auch eine übel beleumundete Gegend. Aber – weit bessere Bordelle als dasjenige, in dem wir uns hier gerade aufhalten. Kontinentaler.
FERDINAND MAXIMILIAN JOSEPH VON ÖSTERREICH
Ohne mich kein Lissa! Wie wahr …
FRANZ SCHUBERT
Dieses Kranksein. Ich fühle mich beständig krank.
FERDINAND MAXIMILIAN JOSEPH VON ÖSTERREICH
Ach was: Gesundheit ist das Schweigen der Organe. In ihnen schreit es einfach vor sich hin.
FRANZ SCHUBERT
Der Mensch gleicht einem Balle, mit dem Zufall und Leidenschaft spielen.
FERDINAND MAXIMILIAN JOSEPH VON ÖSTERREICH
Als ich zum ersten Mal in der Kathedrale von Granada die Kroninsignien der Reyes Católicos Ferdinand und Isabella sah, da wusste ich sofort um meinen hispanischen Auftrag. Bei Gott, wie sehr wollte ich den schweren Särgen gerecht werden, die sogar noch von Jesus getragen werden müssen. Ferne ist gar nicht fern. Wir sehen sie ganz nah. Wie eine Kugel im Hirn. Kat-holos.
(…)
FERDINAND MAXIMILIAN JOSEPH VON ÖSTERREICH
Ich bin so melancholisch, tiefsinnig und fühle mich verlassen, dass ich weinen möchte wie ein kleines Kind.
REV. JIM JONES
Die Tiere habe ich immer geliebt. Schon als Kind habe ich sie auch eingesegnet. Ich habe an den Gräbern der kleinen Kätzchen und Hündchen, der kleinen Sittiche und Buchfinken gebetet. Manchmal, wenn es nichts einzusargen gab, musst ich freilich nachhelfen. Aber es geht eben nichts über ein schönes Leichenbegängnis.
OFF-STIMME
Anstatt bei meiner Geburt wenigstens vor dem Kreissaal zu warten um mein erstes Schreien willkommen zu heißen, haben sich mein Vater und mein Großvater – Fluch über die unerbittliche Kette der Generationen – dabei vergnügt, den Haushund unter die Erde zu bringen im heimatlichen Anwesen, in der Heimaterde. Aber auch, wenn du weißt, wo der Hund begraben liegt, wird dich dies Wissen niemals erlösen.
OWEN CHASE
Ich hasse die Emergenz des Wals. Er ist das Sinnbild einer Wand, das sich inmitten der Gesellschaft der Freunde aufgerichtet hat. Kill the whales, break through the walls.
FERDINAND MAXIMILIAN JOSEPH VON ÖSTERREICH
Freunde! Wir sind nicht allein. Ich kann zumindest eure Schatten sehen in diesem Reich erleuchteter und erlauchter Nacht. Freunde!
REV. JIM JONES
Scheiß Quäker! Hirnlose gierige bigotte Schweine. New England White Trash! Diese religiösen Gesellschafter der Freunde. Ein Haufen nach Walfett stinkender Bibelfester.
FRANZ SCHUBERT
Was das Schicksal so geschrieben haben wird, dem kann nicht ausgewichen werden. Jeder, der dem unvermeidlichen Ziel entgehen will, steht endlich umso gewisser an der Wand, die jenes für ihn errichtete. Atemlos und voll blinder Hoffnung irren wir angesichts dieser Horizontlinie durch die weltgewordenen Albträume. Ein Schatten löst sich aus der Ferne und eilt auf uns zu. Wir erwarten ihn mit offenen Armen. Sehnsucht nach dem Abschluss der Einsamkeit.
FERDINAND MAXIMILIAN JOSEPH VON ÖSTERREICH
Als ich in Querétaro an meiner letzten Wand anlangte, war ich nicht allein. Wie Christus hatte ich zwei Freunde an meiner Seite.
(Es erklingt wieder das Lied La Paloma. FERDINAND MAXIMILIAN JOSEPH VON ÖSTERREICH singt ein wenig mit. Wenn er das Wort „Ferne“ erreicht, singt er aus voller Brust.)
(…)
OWEN CHASE
(steht auf, bestimmt)
Manchmal kann ich die Löcher sehen, die mich umgeben. Hineingefräst in eine Welt, als wären sie Tunnels, die vielleicht in andere Universen führen. Hineingefressen in die fleischliche Welt. Aus diesen Löchern weht ein kalter Wind. Er schmerzt in meinem Auge, wenn ich einen Blick hineinwerfe. Doch dieser Schmerz bestätigt nur unser Wissen, dass da gar keine anderen Universen vorhanden sind, sondern nur dieses eine, zerschossen von Schächten der Verzweiflung, von Kavernen, die durch die Mauern unserer Erstarrung kriechen, um sich gespenstisch zu schließen, solide werden, sobald man ihrer einmal gewahr wird. Kein Sesam öffnet sich, um uns hinaus zu lassen. Wer einmal so einen Tunnel betritt, findet sich unweigerlich vor dem zuzementierten Aus- oder Eingang wieder. Manchmal nimmt man diese Löcher auch an sich selber wahr. Sie öffnen das Fleisch nicht in Form einer Wunde oder einer Stigmatisierung, sondern sind unscharf begrenzte Zonen im Fleisch, so wie ein flimmerndes Fernsehbild und nicht der aufgerissene Fleischkörper.
REV. JIM JONES
Wir schreiben Löcher in die Welt. Ja, wir sind sogar diese in die Welt geschriebenen Löcher. Nicht dazu da, mit den Träumen der anderen gefüllt zu werden, Fluchtorte für ihre Phantasien zu sein, Bergungsstätten – nein: nichts weiter als bloße unfruchtbare leere Löcher.
OWEN CHASE
Der Traum eines jeden großen Regisseurs, nicht wahr?
FRANZ SCHUBERT
Es ist, glaube ich, Zeit zu gehen.
FERDINAND MAXIMILIAN JOSEPH VON ÖSTERREICH
So ist es.
OWEN CHASE
Ja. Gehen wir. Wie oben, so unten!
REV. JIM JONES
Na, dann woll’n wir mal …
(Sie verharren regungslos.)
OFF-STIMME
(verzerrt, mechanisch)
Do I hear 21 21 21 ? … I give ya 21 21 21 …
OWEN CHASE
Wir sind da.
(AUS)
Excerpt of Andreas L. Hofbauers stage play Zwei Novembernächte